Leitsatz:
Durch eine mietvertragliche Bestimmung, derzufolge der Vermieter das Mietverhältnis „nur in besonderen Ausnahmefällen unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen kann, wenn wichtige berechtigte Interessen des Vermieters eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen“, wird dem Mieter ein gegenüber den gesetzlichen Vorschriften erhöhter Bestandsschutz eingeräumt. Für eine Kündigung genügt dann das in § 573 Abs. 2 BGB genannte berechtigte Interesse des Vermieters nicht.
LG Berlin vom 13.3.2019 – 65 S 204/18 –
Mitgeteilt von RA Henrik Solf
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mieter hatte im Jahre 1994 den Mietvertrag bei einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft abgeschlossen. Im Mietvertrag fand sich unter anderem folgende Regelung:
„Das Wohnungsunternehmen wird von sich aus das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Es kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen das Mietverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen des Wohnungsunternehmens eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen.“
1997 wurde das Mehrfamilienhaus von einem Erwerber in Wohnungseigentum aufgeteilt und die Wohnung 20 Jahre später an eine alleinstehende Dame verkauft. Nachdem diese im Grundbuch eingetragen worden war, kündigte sie mit Schreiben vom 14.7.2017 das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs.
Zur Begründung führte die nunmehrige Vermieterin aus, sie habe in den letzten Jahren mit ihrem (ehemaligen) Lebensgefährten in einer circa 125 Quadratmeter großen Wohnung in Köln gelebt. Nach Beendigung der Beziehung sei sie Anfang des Jahres von Köln nach Berlin zurückgekehrt. Sie beabsichtige, die von dem Mieter genutzte Wohnung zu beziehen. Da eine einvernehmliche Lösung der Vertragssituation nicht möglich gewesen sei, müsse sie nunmehr bei ihren Eltern in ihrem alten Kinderzimmer wohnen und hierfür einen Kostenbeitrag zahlen. Weiterer Nutzer der Wohneinheit sei ihr Bruder. Die räumlichen Verhältnisse seien sehr beengt. Der Aufenthalt bei den Eltern unter Zuweisung eines Zimmers sei auf Dauer unzumutbar. Das Zimmer habe circa 20 Quadratmeter. Ferner teilten sich alle Nutzer ein Badezimmer. Ein ungezwungenes soziales Leben sei für die 31-jährige Vermieterin nur außerhalb der elterlichen Räume möglich. Sie habe die Wohnung gekauft, um sie selbst nutzen zu können. Sie verfüge über keine andere Wohnung, weder zur Miete noch zum Eigentum.
Das Amtsgericht hatte die Räumungsklage mit Urteil vom 11.10.2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Vermieterin im Kündigungsschreiben hätte angeben müssen, woraus sich der „gesteigerte“ Eigenbedarf ergebe, da der Mietvertrag dem Mieter hier einen erhöhten Bestandsschutz zubillige. Das Landgericht als Berufungsinstanz folgte im Ergebnis der Argumentation des Amtsgerichts.
Der Kündigung entgegen stehe der erhöhte Bestandsschutz, der dem Mieter im Mietvertrag gewährt werde und vereinbart worden sei. An diese Vereinbarung, die sich gerichtsbekannt in inhaltsgleicher Form häufig in den von Wohnungsgenossenschaften und (städtischen) Wohnungsbaugesellschaften oder -unternehmen verwendeten Vertragsformularen finde, sei die Vermieterin – wie jeder Erwerber der Wohnung – gemäß § 566 BGB gebunden.
Zugunsten der Vermieterin könne unterstellt werden, dass ihre im Kündigungsschreiben dargestellte Wohn- und Lebenssituation die Annahme rechtfertigt, dass sie die Wohnung für sich benötige, § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB. Der von der Vermieterin geltend gemachte Wohnbedarf – die Richtigkeit ihres Vortrags unterstellt – sei weder überhöht noch sei es nicht vernünftig oder nicht nachvollziehbar, dass die Vermieterin, die über keine weitere in ihrem Eigentum stehende Wohnung verfüge, die hier gegenständliche nutzen möchte, um nicht (mehr) im Haushalt ihrer Eltern wohnen zu müssen.
Damit sei der Vermieterin eine Kündigung wegen Eigenbedarfs zwar nicht grundsätzlich verwehrt. Die vertragliche Regelung verschärfe jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen, so dass das in § 573 Abs. 2 BGB genannte berechtigte Interesse nicht ausreiche; es müsse darüber hinaus vielmehr ein besonderer Ausnahmefall vorliegen, der durch das Erfordernis wichtiger berechtigter Interessen, die die Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen, definiert sei („Eigenbedarf + X“). Die Klausel billige dem Mieter einen gegenüber üblichen Mietverhältnissen erhöhten Bestandsschutz zu (vgl. BGH vom 16.10.2013 – VIII ZR 57/13).
Der von der Vermieterin zur Begründung der Kündigung wegen Eigenbedarfs geltend gemachte Sachverhalt trage zwar die Annahme des gesetzlichen Tatbestandes des § 573 Abs. 2 BGB, ein „Weniger“ würde jedoch schon nicht ausreichen. Es liege damit ein „Normal“- (kein Ausnahme-)Fall vor (es fehle mit anderen Worten das „X“).
Soweit die Vermieterin meint, „wohnungslos“ zu sein, wende der Mieter zu Recht ein, dass sie keinesfalls wohnungslos im Sinne von „obdachlos“ sei. Der Tatbestand des „Benötigens“ nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1. BGB setze einen Bedarf an der Wohnung – aus welchen Gründen auch immer – schon begrifflich voraus. Der Bedarf könne sich aus einem Umzug an den Ort der Belegenheit der im Eigentum des Vermieters stehenden Wohnung(en) ergeben, aber auch daraus, dass er bisher zur Untermiete wohne oder bei seinen Eltern, er könne infolge einer Trennung von Lebenspartnern entstehen und – angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenswirklichkeiten – aus vielen Gründen mehr. Eben diesen „Regelfällen“ entspreche die hier zur Begründung der Kündigung dargestellte Wohnsituation der Vermieterin.
Zuzugeben sei ihr, dass das Erfordernis eines besonderen Ausnahmefalls, in dem ein wichtiges berechtigtes Interesse des Vermieters die Beendigung des Mietverhältnisses notwendig macht, die Möglichkeiten des Vermieters, das Mietverhältnis im Wege einer ordentlichen Kündigung zu beenden – deutlich einschränkt beziehungsweise ein solcher Ausnahmefall schwer beschreibbar oder vorstellbar sei. Dies zu bedenken, sei ihr bei Erwerb der Wohnung jedoch zumutbar und möglich gewesen.
Urteilstext
Gründe
I.
Die Beklagte mietete zum 1. Januar 1994 von der Wohnungsbaugesellschaft Pankow mbH eine aus drei Zimmern, Küche und Bad bestehende Wohnung. Die in den Mietvertrag einbezogenen Allgemeinen Vertragsbestimmungen (AVB) enthalten unter Ziffer 10 (Kündigung des Mietvertrages durch das Wohnungsunternehmen) folgende Regelung:
„(1) Das Wohnungsunternehmen wird von sich aus das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Es kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen das Mietverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen des Wohnungsunternehmens eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen.“
1996 verkaufte die Wohnungsbaugesellschaft Pankow mbH die Immobilie, in der sich die Wohnung der Beklagten befindet, an die Optima Anlage- und Beteiligungsgesellschaft mbH. Diese teilte die Liegenschaft in Wohnungseigentum auf und veräußerte die Wohnungen, auch die der Beklagten, an einzelne Eigentümer; die Beklagte verzichtete 1998 auf die Ausübung ihres Vorkaufsrechtes. 2015 erwarben die Klägerin und ihr damaliger Lebenspartner die Wohnung der Beklagten von der Ersterwerberin. Seit dem 20. Juni 2017 ist die Klägerin als Alleineigentümerin in das Grundbuch eingetragen.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2017 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung führte die Klägerin aus, sie habe in den letzten Jahren mit ihrem (ehemaligen) Lebensgefährten in einer ca. 125m² großen Wohnung in Köln gelebt. Nach Beendigung der Beziehung sei sie Anfang des Jahres von Köln nach Berlin zurückgekehrt. Sie beabsichtige, die von der Beklagten genutzte Wohnung zu beziehen. Da eine einvernehmliche Lösung der Vertragssituation nicht möglich gewesen sei, müsse sie nunmehr bei ihren Eltern in ihrem alten Kinderzimmer wohnen und hierfür einen Kostenbeitrag zahlen. Weiterer Nutzer der Wohneinheit sei ihr Bruder. Die räumlichen Verhältnisse seien sehr beengt. Der Aufenthalt bei den Eltern unter Zuweisung eines Zimmers sei auf Dauer unzumutbar. Das Zimmer habe ca. 20 m². Ferner teilten sich alle Nutzer ein Badezimmer. Ein ungezwungenes soziales Leben sei für die 31-jährige Klägerin nur außerhalb der elterlichen Räume möglich. Sie habe die Wohnung gekauft, um sie selbst nutzen zu können. Sie verfüge über keine andere Wohnung, weder zur Miete noch zum Eigentum.
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. Oktober 2018, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Klägerin im Hinblick auf das Schriftformerfordernis nach § 568 BGB im Kündigungsschreiben hätte angeben müssen, woraus sich der „gesteigerte“ Eigenbedarf ergebe, da der Mietvertrag der Beklagten hier einen erhöhten Bestandsschutz zubillige. …
Die Klägerin hat gegen das ihr am 20. Oktober 2018 zugestellte Urteil am 23. Oktober 2018 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist innerhalb der verlängerten Frist am Montag, den 21. Januar 2019 begründet. Sie meint, das Kündigungsschreiben entspreche den gesetzlichen Formerfordernissen; der zur Kündigung führende wichtige Grund, werde im Kündigungsschreiben angegeben. Die Klägerin habe ausführliche Angaben zu ihrer persönlichen Lebenssituation gemacht, insbesondere angegeben, aus welchen Gründen sie Eigenbedarf an der Wohnung geltend macht. Die rechtliche Frage, ob bei Wohnungslosigkeit des Vermieters ein gesteigerter Eigenbedarf vorliege, werde nicht beantwortet.
..
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 11. 0ktober 2018 -102 C 160/18 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die von ihr innegehaltene Wohnung Nr. xxxx geräumt herauszugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wohnungslosigkeit beschreibe als Oberbegriff die Lebenslage von Menschen ohne festen Wohnsitz oder geschützten privatem Wohnraum; eine mit Wohnungslosigkeit vergleichbare Zwangslage sei nicht gegeben, selbst wenn die Klägerin ohne Angaben zu der von ihr behaupteten Dringlichkeit und den näheren Wohnverhältnissen tatsächlich bei ihren Eltern im ehemaligen Kinderzimmer leben sollte.
II.
1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen rechtfertigen im Ergebnis keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung der Wohnung im Hause H.-straße xx in 1xxxx Berlin aus § 546 Abs. 1 BGB. Das zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehende Mietverhältnis ist durch die auf Eigenbedarf gestützte Kündigung vom 14. Juli 2017 nicht nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB beendet worden. Der Kündigung entgegen steht der erhöhte Bestandsschutz, der der Beklagten als Mieterin in Ziff. 10 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen gewährt wird und vereinbart wurde.
a) An diese Vereinbarung, die sich gerichtsbekannt in inhaltsgleicher Form häufig in den von Wohnungsgenossenschaften und (städtischen) Wohnungsbaugesellschaften oder -unternehmen verwendeten Vertragsformularen findet (vgl. auch BGH, Urt. v. 09.05.2012 – VIII ZR 327/11, WuM 2012, 44, nach juris Rn. 24), ist die Klägerin – wie jeder Erwerber der Wohnung – gemäß § 566 BGB gebunden, was sie selbst zutreffend auch nicht in Abrede stellt.
Sie war gehalten, die Vertragslage vor Erwerb der Wohnung zu prüfen, insbesondere im Hinblick auf die Realisierbarkeit eines Eigennutzungswunsches, wenn sie die Wohnung – wie im Kündigungsschreiben angegeben – gekauft hat, um sie selbst zu nutzen. Sie war – wie jeder Erwerber – hinreichend durch das Erfordernis der Einhaltung der Schriftform nach § 550 BGB geschützt, wenn bestimmte Kündigungsgründe – wie hier unter anderem der wegen Eigenbedarfs – für mehr als ein Jahr vertraglich ausgeschlossen werden sollen (vgl. BGH, Urt. v. 04.04.2007- VIII ZR 223/06, WuM 2007, 272, nach juris Rn. 16f.).
b) Im Ansatz zu Recht, im Ergebnis ohne Erfolg wendet die Klägerin sich gegen die Feststellung des Amtsgerichts, das Kündigungsschreiben genüge nicht den Anforderungen der §§ 573 Abs. 3, 568 BGB.
Ausreichend ist bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs regelmäßig die Angabe der Person, die die Wohnung benötigt und die Darlegung des Interesses, das diese Person – hier die Klägerin als Vermieterin – an der Erlangung der Wohnung hat (BGH NJW 2015, 3368; NJW 2014, 2102, jew. beck-online). Angaben zur Wohnsituation sind erforderlich, soweit sie – wie hier- für den Erlangungswunsch von Bedeutung sind (BGH NZM 2011, 706 = NJW-RR 2012; 14, jew. beck-online). Die Angaben sollen dem Mieter ermöglichen, sich frühzeitig Klarheit über seine Rechtsstellung zu verschaffen. Nur diesen Zweck muss die Begründung erfüllen; zu hohe formale Anforderungen sind nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes entsprechen, unangebracht (vgl. BT-Drs·. 14/4553, 66; BVerfG NJW-RR 2003, 1164).
Diesen Anforderungen genügt das ausführlich begründete Kündigungsschreiben der Klägerin vom 14. Juli 2017, denn es enthält die oben dargestellten Angaben. Dass die Angaben die Kündigung mit Blick auf die Regelung in Ziff. 10 des Mietvertrages im Ergebnis inhaltlich nicht tragen, ist eine Frage, die die vom Gericht vorzunehmende Bewertung der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Kündigung betrifft.
c) Zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann, dass ihre im Kündigungsschreiben dargestellte Wohn- und Lebenssituation die Annahme rechtfertigt, dass sie die Wohnung für sich benötigt, § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB.
Bei dem Kriterium des „Benötigens“ in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB handelt es sich um einen objektiv nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der voraussetzt, dass der Vermieter ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe hat, die Wohnung selbst zu nutzen (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v, 19.07:1993 -1 BvR 501/93, nach juris Rn. 13, m.w.N., zit. nach juris; BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen v. 20.01.1988 – VIII ARZ 4/87 Rn. 17ff., m.w.N.; Urt. v. 05.10.2005 – VIII ZR 127/05, WuM 2005, 779, juris Rn. 5). Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Vermieter (vgl. nur BGH, Urt. v. 23.09.2015 – VIII ZR 20/15, NJW 2015, 3368, juris). Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schützt den Vermieter in seiner Freiheit, die Wohnung bei Eigenbedarf selbst zu nutzen (oder durch privilegierte Angehörige nutzen zu lassen). Die Gerichte haben den Eigennutzungswunsch des Eigentümers zwar zum Schutz des Mieters zu überprüfen, andererseits aber grundsätzlich zu respektieren, insbesondere nicht das Recht, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters zu setzen (vgl. st. Rspr. BVerfG, Beschl. v. 11.11.1993 – 1 BvR 696/93, NJW 1994, 309, [310], m.w.N., nach beck-online; BGH, Urt. v. 04.03.2015 – VIII ZR 166/14, in WuM 2015, 304, juris Rn. 14, m.w.N.; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 13. Aufl., BGB § 573 Rn. 43; BeckOK MietR/Siegmund, 15. Ed., Stand 01.03.2019, BGB § 573 Rn. 31, beck-online).
Der von der Klägerin geltend gemachte Wohnbedarf – die Richtigkeit ihres Vortrags unterstellt – ist weder überhöht noch ist es nicht vernünftig oder nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin, die über keine weitere in ihrem Eigentum stehende Wohnung verfügt, die hier gegenständliche nutzen möchte, um nicht (mehr) im Haushalt ihrer Eltern wohnen zu müssen.
Von einer zum Schutz des Mieters – hier der Beklagten – regelmäßig gebotenen Beweisaufnahme zur Überprüfung der von ihr zulässig bestrittenen Behauptungen der Klägerin zu ihrer Wohnsituation und zur Ernsthaftigkeit ihres Eigennutzungswunsches (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1990 – 1 BvR 953/90, NJW-RR 1991, 74; Beschl. v. 19.10.1993 -1 BvR 1620/92, BeckRS 1993, 08397; Beschl. vom 19.10.1993 – 1 BvR 25/93, NJW 1994, 309; Beschl. v. 20.05.1999 – 1 BvR 29/99, NZM 1999, 659 jew. nach beck-online: BGH, Urt. v. 04.03.2015, a.a.O., juris Rn. 15) war hier abzusehen, denn der Vortrag der Klägerin deckt den Tatbestand des § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB (Eigenbedarf), nicht aber die darüber hinaus gehenden, die Mieterin schützenden Anforderungen der Vereinbarung in Ziff. 10 der Allgemeinen Vertragsbedingungen. Danach reicht – anders als nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB – ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht aus; vielmehr müssen „wichtige berechtigte Interessen (…) eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen.“
Damit ist der Klägerin eine Kündigung wegen Eigenbedarfs zwar nicht grundsätzlich verwehrt. Die vertragliche Regelung verschärft jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen, so dass das in § 573 Abs. 2 BGB genannte berechtigte Interesse nicht ausreicht; es muss darüber hinaus vielmehr ein besonderer Ausnahmefall vorliegen, der durch das Erfordernis wichtiger berechtigter Interessen, die die Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen, definiert ist („Eigenbedarf + X“). Die Klausel billigt dem Mieter einen gegenüber üblichen Mietverhältnissen erhöhten Bestandsschutz zu (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.2013 – VIII ZR 57/13, WuM. 2013, 739, nach juris Rn. 14f.; Urt. v. 09.05.2012 – VIII ZR 327/11, WuM 2012, 529, nach juris Rn. 24ff.; OLG Karlsruhe, RE v. 21.01.1985, 3 REMiet 8/84, WuM 1985, 77, nach juris Rn. 24ff.).
Die Feststellung der über § 573 Abs. 2 BGB hinausgehenden Voraussetzungen für den Ausspruch (unter anderem) einer (ordentlichen) Kündigung wegen Eigenbedarfs (aber gegebenenfalls auch einer auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruhenden Kündigung, z.B. wegen Zahlungsverzugs) nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB obliegt dabei dem jeweiligen Tatrichter; die Rechtsfrage des erhöhten Bestandsschutzes als solche ist höchstrichterlich geklärt.
Der von der Klägerin zur Begründung der Kündigung wegen Eigenbedarfs geltend gemachte Sachverhalt trägt zwar die Annahme des gesetzlichen Tatbestandes des § 573 Abs. 2 BGB, ein „Weniger“ würde jedoch schon nicht ausreichen. Es liegt damit ein „Normal“- (kein Ausnahme-)Fall vor (es fehlt mit anderen Worten das „X“).
Soweit die Klägerin meint, „wohnungslos“ zu sein, wendet die Beklagte zu Recht ein, dass sie keinesfalls wohnungslos im Sinne von „obdachlos“ sei. Der Tatbestand des „Benötigens“ nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1. BGB setzt einen Bedarf an der Wohnung – aus welchen Gründen auch immer – schon begrifflich voraus. Der Bedarf kann sich aus einem Umzug an den Ort der Belegenheit der im Eigentum des Vermieters stehenden Wohnung(en) ergeben, aber auch daraus, dass er bisher zur Untermiete wohnt oder bei seinen Eltern, er kann infolge einer Trennung von Lebenspartnern entstehen und – angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenswirklichkeiten – aus vielen Gründen mehr. Eben diesen „Regelfällen“ entspricht die hier zur Begründung der Kündigung dargestellte Wohnsituation der Klägerin.
Zuzugeben ist ihr, dass das Erfordernis eines besonderen Ausnahmefalls, in dem ein wichtiges berechtigtes Interesse des Vermieters die Beendigung des Mietverhältnisses notwendig macht, die Möglichkeiten des Vermieters, das Mietverhältnis im Wege einer ordentlichen Kündigung – wegen Eigenbedarfs oder eines anderen berechtigten Interesses nach § 573 Abs. 1, 2 BGB – zu beenden, deutlich einschränkt bzw. ein solcher Ausnahmefall schwer beschreibbar oder vorstellbar ist. Dies zu bedenken, war ihr bei Erwerb der Wohnung jedoch zumutbar und möglich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage höchstrichterlich bereits bestätigter bzw. fortentwickelter Maßstäbe.
27.03.2022