Der Architekt Werner Düttmann hätte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Als Stadtplaner und Senatsbaudirektor hat er das Bild West-Berlins in den 60er und 70er Jahren entscheidend geprägt und wurde zu einer umstrittenen Figur. Einerseits hat er die Kahlschlagsanierung und den Großsiedlungsbau zu verantworten. Andererseits lässt es sich hinter den schroffen Waschbeton-Fassaden seiner Häuser gut wohnen.
Werner Düttmann wurde am 6. März 1921 in Berlin-Friedrichshain geboren. Sein Architektur-Studium musste er wegen des Kriegsdienstes unterbrechen. Er konnte es erst nach der Rückkehr aus britischer Kriegsgefangenschaft beenden. 1948 ging er zunächst ins Planungsamt des Bezirks Kreuzberg, später in die Senatsbauverwaltung. Für die Mitarbeit an der Internationalen Bauausstellung Interbau 1957 im Hansaviertel wurde er freigestellt. Er war einer der ausführenden Architekten der Kongresshalle (heute: Haus der Kulturen der Welt) und entwarf selbst die Hansa-Bücherei. Mit seinem aufsehenerregenden Entwurf für die Akademie der Künste, die ab 1958 ebenfalls im Hansaviertel gebaut wurde, stieg er in die erste Riege der Berliner Architekten auf.
West-Berliner Weichensteller für die Stadtentwicklung
Mit nur 39 Jahren wurde Düttmann 1960 zum Senatsbaudirektor berufen – eine Schlüsselposition, in der er bis 1966 blieb. In dieser Zeit hatte das Bauen in West-Berlin Hochkonjunktur. Es wurden die Weichen gestellt für den Bau der Großsiedlungen Gropiusstadt, Märkisches Viertel und Falkenhagener Feld. Gleichzeitig startete das Stadterneuerungsprogramm, mit dem weite Teile der Mietskasernenstadt abgerissen und modern wieder aufgebaut werden sollten.
Die Großsiedlungen sollten für Düttmann nicht nur bloße Stadterweiterungen sein, sondern eigene Stadtteile bilden. Das Märkische Viertel sah er als Vorbild für ein „neuartiges, sinnbefriedigendes Stadt- und Raumgefüge“. Er engagierte für diese Aufgabe junge Architekten aus dem In- und Ausland und plante selbst fünf Häuser am Dannenwalder Weg mit 865 Wohnungen.
Anders als viele Architekten seiner Zeit wollte Düttmann keine herausragenden Bauten erschaffen. Seine Häuser waren äußerlich bewusst karg, preußisch-herb. Erst im Inneren sollten sich „Überraschungen im Gebrauch entfalten“, so Düttmann. Trotz des knappen Budgets und der engen Vorgaben des Sozialen Wohnungsbaus ließ Düttmann keine Dürftigkeit zu.
So sehen seine Häuser im Märkischen Viertel zwar wie typischer Massenwohnungsbau aus, doch auf jeder Etage befinden sich acht unterschiedlich große und verschieden geschnittene Wohnungen. Düttmann wollte damit die unterschiedlichen Bedürfnisse und Anforderungen von Bewohnern erfüllen. Die Wohnungen haben einen großen, nach außen orientierten Wohnraum, kompakte Küchen und Bäder sowie großzügige Flure. Die gut durchdachten Grundrisse werden bis heute von den Mietern geschätzt.
Nach seiner Zeit als Senatsbaudirektor arbeitete Düttmann als freier Architekt, nahm eine Professur an der Technischen Universität Berlin an und wurde 1971 Präsident der West-Berliner Akademie der Künste.
In Kreuzberg führte er nach einem Konzept seines früheren Lehrers Hans Scharoun ab 1968 die Ringbebauung am kreisförmigen Mehringplatz aus und baute rundherum zur Lärmabschirmung gegen die damals noch geplante Stadtautobahn 13- bis 17-geschossige Wohnhäuser. Dieses von Scharoun geprägte Prinzip der „Stadtlandschaft“ ließ Düttmann mit der 1973 begonnenen Wohnanlage an der Hedemannstraße hinter sich: Sie ist eines der ersten Berliner Beispiele, wo Neubauten wieder am Blockrand des vorhandenen Straßenrasters errichtet wurden. Hier nahm Düttmann das Anliegen der Internationalen Bauausstellung 1984/87 vorweg, die noch immer von Kriegsbrachen zerfurchte Südliche Friedrichstadt durch eine „kritische Rekonstruktion“ wieder zum Leben zu erwecken.
Als einer der einflussreichsten Architekten und Baupolitiker West-Berlins stand Düttmann auch im Zentrum der Kritik. 1967 veranstalteten Studierende Anti-Bauwochen, kritisierten in einer Broschüre die Verfilzung von Politik, Bauwirtschaft und Architekten und wandten sich gegen den Abriss billiger Mietshäuser zugunsten teurer Neubauten – damals gerade geschehen am Wassertorplatz, wo fast 1500 Altbauwohnungen beseitigt wurden, um maßstabsprengenden Hochhäusern aus der Feder Düttmanns Platz zu machen.
Mit dem Anwachsen des Protests gegen die Kahlschlagsanierung schlug Düttmann zunehmend Ablehnung entgegen. Er galt als Kopf der Betonfraktion und man nannte seine Bauten „Hedemann-Knast“ oder „Düttmannsche Wohncontainer“ – so der Kritiker Dieter Hoffmann-Axthelm über die Mehringplatz-Bebauung.
Außergewöhnlich vielfältiges Werk
Düttmanns Architektur wird auch heute noch kontrovers beurteilt. „Das Werk von Werner Düttmann ist außergewöhnlich vielfältig“, sagt Landeskonservator Christoph Rauhut. „Er entwarf einerseits die riesigen Wohnmaschinen, aber auch feinfühlige Raumschöpfungen wie die Hansa-Bücherei oder das Brücke-Museum, wo Architektur und Außenraum wunderbar zusammenspielen.“ Mehr als 20 seiner Bauten sind inzwischen unter Denkmalschutz gestellt, darunter die Ringbebauung am Mehringplatz, die Wohnanlage in der Hedemannstraße, die Akademie der Künste, zwei Kirchen, zwei U-Bahnhöfe, der Ernst-Reuter-Platz und die Verkehrskanzel am Kurfürstendamm. Nebenan wurde das Kudamm-Eck von 1969 mit seiner aufsehenerregenden Leuchtreklame-Fassade im Jahr 1998 abgerissen. Sein erster Bau, ein Seniorenheim an der Schulstraße im Wedding von 1952, wurde Ende 2018 leergezogen und wird demnächst einem Schulneubau weichen. Gänzlich realitätsfern ist allerdings das Ansinnen des Vorsitzenden des Architekten- und Ingenieurvereins Berlin-Brandenburg, Tobias Nöfer, der im letzten Jahr in einem Gespräch mit dem Stadtentwicklungssenator ernsthaft vorgeschlagen hat, man solle die ganze Mehringplatz-Bebauung abreißen, um Platz für eine Neugestaltung nach historischem Vorbild zu schaffen.
Düttmann wird als charismatisch und stets dialogbereit beschrieben. Er trat mit amerikanischer Lässigkeit auf: locker gebundene Krawatte, in der einen Hand eine Zigarette, die andere Hand in der Hosentasche. „Erfreulich unbürgerlich“ nannte ihn sein Kollege Rolf Gutbrod. Der Architekt Wassili Luckhardt charakterisierte ihn als „phantasiereichen und warmherzigen Menschen“. Düttmann hat sich zu seiner Architektur nur ungern geäußert. Sie solle „ohne weitere Erklärung erkennbar und verständlich, lebendig und nützlich“ sein. Bei der Eröffnung der Akademie der Künste 1960 vom Journalisten Thilo Koch nach seinem Baustil befragt, antwortete Düttmann: „Da bin ich überfragt. Das überlasse ich Ihnen. Sie sind doch intelligent.“
Am 26. Januar 1983 starb er mit 61 Jahren an einem Schlaganfall.
Jens Sethmann
Geburtstagsausstellung
Zu Düttmanns 100. Geburtstag zeigt das Brücke-Museum die Ausstellung „Werner Düttmann. Berlin. Bau. Werk.“ Neben der Hauptausstellung im Brücke-Museum sind weitere Ausstellungskapitel im Foyer der Akademie der Künste, in der Hansa-Bücherei, der König Galerie in St. Agnes und im Haus der Kulturen der Welt zu sehen. Darüber hinaus stehen seit dem 6. März an 28 von Düttmann geprägten Orten im Stadtraum Informationstafeln. „Die Ausstellung zeigt, wie wir uns ganz unbemerkt tagtäglich in Düttmanns Berlin bewegen, und öffnet den Blick für das Besondere im eigenen Alltag“, erklärt Lisa Marei Schmidt, Direktorin des Brücke-Museums.
js
Werner Düttmann. Berlin. Bau. Werk. Brücke-Museum, Bussardsteig 9, 14195 Berlin, bis 29. August 2021, Mittwoch bis Montag 11-17 Uhr, Info zu pandemiebedingten Öffnungszeiten:
www.bruecke-museum.de
Auf der Projekt-Webseite
www.wernerduettmann.de
kann man Orte zu einer Düttmann-Tour zusammenstellen. Außerdem finden Sie dort vertiefende Informationen sowie Videos und Audio-Tracks.
29.05.2021