Der Zuzug von Asylsuchenden hat nach dem Herbst 2015 rapide nachgelassen. Weil aber Menschen mit beschränktem Aufenthaltsstatus und erst recht Flüchtlingsfamilien so gut wie keine Chance am Wohnungsmarkt haben, werden weiter Unterkünfte gebaut. In Berlin sind das inzwischen Häuser mit Apartmentstruktur. Diese sollen später einmal in Wohnungen für andere Gruppen umfunktioniert werden.
Lange weiße Flure, noch kaum benutzte Spielzimmer, gefüllte Regale mit verpackten Töpfen und Pfannen, stapelweise Teller und Tassen, in vielen Zimmern noch unbezogene Matratzen und leere schmale Metallschränke – die Flüchtlingsunterkunft in der Seehausener Straße, einem sechsgeschossigen Neubau im Bezirk Hohenschönhausen-Lichtenberg, ist im Januar übergeben worden. Als jüngste derartige Einrichtung in Berlin verfügt das Haus über 405 Wohnplätze, Mitte Februar waren 140 Plätze belegt.
„Es ziehen jetzt etwa 40 Menschen pro Woche hier ein“, sagt der Leiter der Unterkunft, Rocco Priewe, bisher ausschließlich Familien, wie es den Nachbarn in der Neu-Hohenschönhausener Großsiedlung versprochen worden war. Familien wie die von Ahmed A. Mit seiner Frau und drei Kindern kam der Unternehmer vor drei Jahren aus dem kurdischen Teil Iraks nach Deutschland. Inzwischen arbeitet er in einem Restaurant. Aber die Chancen auf eine eigene Wohnung sind kaum größer geworden.
„Flüchtlingsfamilien haben die größten Probleme am völlig überlasteten Berliner Wohnungsmarkt“, erklärt Monika Hebbinghaus vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). Wer die Erstaufnahme durchlaufen hat und für etwa drei bis sechs Monate in einer Sammelunterkunft untergebracht war, darf sich eigentlich – parallel zum Asylverfahren, das beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) läuft – nach einer Wohnung umsehen. Aber wer wie beispielsweise Ahmed A. und seine Familie nur eine Aufenthaltsgestattung hat, wird nicht selten aus dem großen Stapel von Bewerbungen, die vor einem Vermieter liegen, aussortiert.
Rückläufige Geflüchtetenzahl erlaubt ein anderes Bauen
Deshalb wurden und werden Modulare Unterkünfte für Flüchtlingswohnen (MUF) errichtet: Gebäude, zusammengesetzt aus vorgefertigten Bauteilen, in denen die Einziehenden erst einmal ein Zuhause finden. Zu den 28 bisher geplanten und etwa zur Hälfte bereits fertiggestellten Wohnstandorten mit rund 10.000 Plätzen sollen nach Auskunft der Berliner Sozialverwaltung in den nächsten Jahren noch 25 Standorte mit rund 7000 weiteren Plätzen hinzukommen.
Nach Angaben des LAF stellen derzeit etwa 700 bis 800 Menschen pro Monat einen Antrag auf Asyl. Das ist kein Vergleich mit den Zahlen von vor fast vier Jahren, als täglich bis zu 1000 Schutzsuchende in die Hauptstadt kamen, und schnell untergebracht werden mussten. „Das versetzt uns aber auch in die komfortable Lage, dass wir heute anders bauen können“, so Monika Hebbinghaus. Statt der klassischen Gemeinschaftsunterkünfte mit Gemeinschaftsküchen und -bädern, die anfangs errichtet wurden, entstehen jetzt mehr und mehr Apartmenthäuser mit abgeschlossenen Wohnungen.
Den Unterschied sieht man den Blöcken von außen nicht unbedingt an, für die Bewohner ist er gravierend: In der Bernauer Straße in Reinickendorf, wo von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag 2016 die erste Modulare Unterkunft für Flüchtlinge errichtet und ans LAF als Mieter übergeben worden war, gruppieren sich die einzelnen Zimmer mit mehreren Betten noch um einen zentralen Sanitärtrakt in der Mitte jeder Wohnetage. Da gibt es Dusch- und Waschräume, getrennt für Frauen und Männer, Küchen, und einen Hauswirtschaftsraum mit Waschmaschinen. Die Unterkunft in der Seehausener Straße dagegen ähnelt von ihrer Struktur schon mehr einem der umliegenden Plattenbauten im Kiez. Zwar befinden sich auch hier im Erdgeschoss noch viele funktionale Räume: zum Spielen, Lernen und Hausaufgaben machen, fürs Wäschewaschen, Stauraum und Beratungszimmer. Das ist notwendig, denn in den einzelnen Apartments, konzipiert für drei bis sechs Personen, ist der Platz äußerst knapp kalkuliert: Für die erste Person stehen neun Quadratmeter zur Verfügung, für jede weitere sechs Quadratmeter, erklärt der Heimleiter. Er erzählt, dass sich am Tag der offenen Tür Mitte Januar viele der Nachbarn, die gekommen waren, um sich das Haus anzusehen, doch gewundert hätten. „Die haben die spartanischen Unterkünfte gesehen und sofort verstanden, dass das hier wirklich kein Luxuswohnen ist“, so Rocco Priewe.
Es gibt zwar für alle, die einziehen und noch nichts haben, neben den wenigen Möbeln eine erste Grundausstattung mit Bettwäsche, Töpfen, Geschirr und Besteck. Aber die Kochgelegenheit im Flur ist winzig, und die Schlafzimmer sind eng. Immerhin gehört zu jeder kleinen Wohnung ein eigenes Bad und die Tür zum Gang, die man hinter sich schließen kann. Pro Etage stehen auch drei rollstuhlgerechte Wohnungen zur Verfügung.
An den einzelnen Standorten können die Modularen Unterkünfte durchaus ein wenig unterschiedlich ausfallen, werden sie doch von verschiedenen Bauherren entwickelt und errichtet: vom Senat, der ein eigenes Modell entworfen hat, und von den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und der Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH (BGG) .
Die Kosten eines jeden Baus sind durchaus unterschiedlich. Sie hängen von den einzelnen Projekten ab, werden von der Größe und Lage des Grundstücks beeinflusst und auch die mögliche Nachnutzung spielt eine Rolle. Die Bauherren vermieten ihre modularen Bauten zunächst für drei Jahre an das LAF, die jedes Haus wiederum nach Ausschreibungen an einen externen Betreiber übergibt. In der Seehausener Straße ist das der Albatros e.V.
Für andere Nutzungen kann umgebaut werden
„Nach drei Jahren wird geprüft, ob das Haus als Flüchtlingsunterkunft immer noch gebraucht wird oder ob es sozial verträglicher Wohnraum für alle werden kann“, so die LAF-Mitarbeiterin. Dann lassen sich zum Beispiel auch Grundrisse verändern oder Balkone anbauen.
Aber jetzt ist es erst einmal wichtig, dass die Häuser kostengünstig und dennoch energetisch und bautechnisch qualitativ hochwertig errichtet werden. Mindestens 60 bis 70 Jahre soll die Lebenszeit der Gebäude betragen. Ihre Bauzeit ist in Berlin eigentlich eine Sensation. Wo sich übliche Planungs- und Genehmigungsverfahren und schließlich der Bau selbst über viele Jahre hinziehen, beträgt die Bauzeit einer Modularen Unterkunft in der Regel nicht mehr als 12 Monate – dank des Sonderbaurechts für Flüchtlingswohnen, das seit 2016 gilt.
Monika Hebbinghaus: „Wir können wirklich sagen: Unser Flüchtlingsbauprogramm ist ein Stück gelungener sozialer Wohnungsversorgung.“
Rosemarie Mieder
Spezielles Baurecht
Auf dem Höhepunkt des Zuzugs von Asylbewerbern nach Deutschland im Herbst 2015 wurden „Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte“ ins Baugesetzbuch des Bundes (Paragraf 246) aufgenommen. Diese vereinfachen das Baurecht für Flüchtlingsheime und sehen ihre Errichtung auch dort vor, wo eine Nutzung des Grundstücks zu sozialen oder Wohnzwecken laut Baugesetzbuch nicht möglich wäre – etwa in Gewerbegebieten oder auf Freiflächen. Die Sonderregelungen, die 2016 in Kraft traten, gelten ausschließlich für Flüchtlingsunterkünfte und sind bis Ende 2019 befristet. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Betriebsgenehmigung zu diesem Zeitpunkt endet. Modularbauten sind unbefristet genehmigt, weil die soliden Betongebäude eine lange Lebensdauer haben und später einmal zu Wohnzwecken für andere Gruppen umgebaut werden können. In diesem Fall müssen die Bezirke allerdings einen entsprechenden Bebauungsplan mit dieser Zielsetzung aufstellen.
rm
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24.03.2019