Als „Schmuckstück unter den Shopping-Paradiesen“ wird die Schönhauser Allee von Berlins obersten Tourismus-Werbern „Visit Berlin“ angepriesen. Zwischen den großen Ketten, die sich in den letzten Jahren hier angesiedelt haben, finden sich viele Perlen: kleine inhabergeführte Läden, die sich auf eine junge, internationale und anspruchsvolle Kundschaft eingestellt haben. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Die größte Einkaufsstraße in Prenzlauer Berg ist kein einfaches Pflaster für Geschäftsleute. Wer hier mithalten will, muss hohe Umsätze erzielen. Die Mieten sind happig, und nicht jedes Geschäftskonzept geht auf. Entsprechend hoch ist die Fluktuation.
In der Nummer 131 ist das anders. Seit dem Jahre 1905 existiert hier ein Hutladen, es handelt sich um das älteste Geschäft in der Straße und den ältesten Hutladen in ganz Berlin. Die Original-Einrichtung aus den 1930er Jahren kommt gerade bei der jungen Kundschaft gut an, erzählt die Inhaberin: „Die finden das gemütlich und sagen mir, dass ich das bloß nicht ändern soll.“ Doreen Persche hat das Geschäft 1998 von ihrem Onkel übernommen. Von 1988 bis 1990 hat sie hier bei ihm ihre Ausbildung gemacht. Damals, zur Wendezeit, sah es nicht gut aus für die Straße, erst recht nicht für einen Hutladen. Die Inhaberin orientierte sich daher erst einmal anderweitig.
Mittlerweile habe sich das Publikum natürlich komplett verändert, sagt sie. Jünger und internationaler ist ihre Kundschaft geworden. Und das liegt nicht nur daran, dass in dieser Gegend kaum noch Senioren wohnen. Vielmehr liegen Hüte inzwischen voll im Trend. Das einstige Accessoire älterer Herrschaften hat den Sprung in die hippe Modewelt geschafft. „Die Promis und Stars tragen wieder Hüte und bei den jungen Männern sind lässig getragene Schiebermützen total angesagt“, freut sich die Inhaberin.
Und so kommen aus ganz Deutschland Leute, um bei „Kleemann Hüte“ in der Schönhauser Allee einen Herrenzylinder, einen Panama-Hut oder einen Fascinator zu kaufen. Auch Touristen gehören zur Kundschaft. Die gelernte Modistin macht in ihrem Atelier auch Maßanfertigungen. Um die 150 Euro muss man dafür hinlegen. Dafür hat man dann etwas ganz Besonderes, ein Einzelstück, dass sonst niemand trägt.
Die 2,8 Kilometer lange „Schönhauser“ war schon zu DDR-Zeiten eine beliebte Einkaufsstraße. Aus der ganzen Republik kamen Menschen, um sich hier mit schicker Mode, Schuhen und Schmuck einzudecken. Es gab Gaststätten, Kaufhallen und viele kleine Läden für die werktätige Bevölkerung. Die Bohème traf sich im berühmten Wiener Café, wo Stehgeiger und Pianospieler für stilvolle Begleitung sorgten. Doch nach dem Mauerfall ging es allmählich bergab. Der Prenzlauer Berg wurde Europas größtes Sanierungsgebiet, viele Bewohner zogen weg. Nur wenige der alteingesessenen Geschäfte überlebten die enormen Mietsteigerungen und die Rückübertragungen an Alteigentümer. Dazu kamen endlose Baustellen.
Einer der wenigen überlebenden Läden ist die Konditorei Krautzig, ein Familienbetrieb, den es bereits seit 1932 gibt. In der Backstube im Hof werden prachtvoll verzierte Torten sowie Brot und Brötchen täglich frisch hergestellt – ganz ohne Fertigmischungen.
Aber wer verlobt sich heute noch?
Doch nicht allen Branchen bietet die Schönhauser Allee ein ideales Umfeld. Für Juwelier Rothholz wäre Steglitz vermutlich ein besserer Standort, wie die freundliche Angestellte weiß: „Hier in der Gegend fehlt das Publikum, die jungen Leute haben kein Interesse mehr an Goldschmuck.“ Doch der Chef ist schon im Rentenalter. In ein paar Jahren, wenn auch seine Angestellte in Rente geht, soll Schluss sein. „Was haben wir früher an Verlobungsringen verkauft!“, seufzt sie. Heutzutage verloben sich die Leute nicht mehr, und statt Uhren gibt es Handys.
Wer dagegen Designer-Mode jenseits des Mainstreams oder erlesene Deko-Artikel sucht, für den ist die Schönhauser Allee ein Paradies. Es gibt einen Laden mit Musikinstrumenten aus aller Welt, ein Geschäft für japanische Zehensocken und jede Menge Stoff- und Einrichtungsläden für das schöne Zuhause. Die Prenzlberger sind gesundheitsbewusst.
„Gelatinefrei ist sehr nachgefragt, aber auf Bio legen die Leute nicht so viel Wert“, heißt es im „Bärenland“ ein paar Häuser weiter. Mehr als 100 Fruchtgummisorten gibt es im 2003 eröffneten Bärenland, einem Franchise-Unternehmen mit Filialen in ganz Deutschland. Wer will, kann Pizza aus Gummibären naschen oder Sonderanfertigungen bestellen. Das „Fruchtgummi-Paradies“ steht längst in jedem Reiseführer. „Japaner steuern uns gezielt an, die kommen hier mit einem großen Gepäckstück an und packen es mit 20 Tüten voll“, erzählt Filialleiterin Petra Zorn-Dill.
Im Großen und Ganzen ist auch Christiane Hahn mit ihrem Standort zufrieden. Die Inhaberin der Buchhandlung Anakoluth setzt auf ein anspruchsvolles Publikum, das gute Bücher zu schätzen weiß. Die Kiezbuchhandlung hat viele Stammkunden, die den persönlichen Empfehlungen der Buchhändlerinnen vertrauen. „Ich habe einen hohen Anspruch und will keine Kompromisse machen“, erklärt die Inhaberin. Statt Bestseller-Tische findet man hier ein ausgewähltes literarisches Sortiment, zum Teil aus kleinen Verlagen. Die literarische Buchhandlung war früher in Mitte. Nachdem sich das Umfeld dort total gewandelt hatte, wollte Christiane Hahn zuerst ganz aufgeben: „Aber viele Kolleginnen haben mir gesagt, dass mein Konzept gut ist.“ Sie suchte dann gezielt nach Räumen in Prenzlauer Berg und eröffnete vor acht Jahren in der Nummer 124. Die Nachbarschaft habe sich seitdem schon verändert. Es gebe mehr Ketten, und einige schöne, inhabergeführte Läden seien weggezogen. „Das ist schade, weil man ja immer auch voneinander profitiert“, meint Christiane Hahn.
Die Schönhauser Allee sei wirtschaftlich komplett überbewertet, findet dagegen Michael Schaarschmidt, der seit 2005 in der Nummer 127 a ein Blumencafé betreibt. „Die Leute sind mit ihrer hohen Miete oder der Abzahlung ihrer Eigentumswohnung total ausgelastet, da bleibt nicht mehr viel Geld übrig.“ Das Blumencafé ist eine einzigartige Mischung aus Café und Blumengeschäft. Man fühlt sich fast wie in einem Gewächshaus, und neben Kater Erwin gehören auch zwei bunte Papageien zum Ambiente.
Der gelernte Gärtner legt viel Wert auf Qualität. „Ich möchte, dass sich die Leute hier etwas Schönes und Gutes gönnen“, betont er. Auch die Herkunft ist ihm wichtig. Blumen aus Kenia oder Äthiopien kauft er aus Prinzip nicht ein. Von der Kundschaft werde das nicht immer honoriert, vielen sei das egal. Viele Leute würden zwar aus Imagegründen im Bio-Supermarkt kaufen, seien aber nicht bereit, für eine Rose, die nicht aus Afrika kommt, 50 Cent mehr zu bezahlen: „Das Absurde ist, dass viele Leute hierhergezogen sind, weil sie all die vielen schönen Läden lieben, aber anstatt ihr Umfeld zu unterstützen, schmücken sie sich lediglich damit.“
Birgit Leiß
Ehemals Protokoll-Strecke
Die einstige Landstraße vom königlichen Berlin zum Schloss Schönhausen trägt ihren Namen seit 1841. Bereits 1906 wurde mit dem Bau der Hochbahn begonnen – gegen den Widerstand der Hausbesitzer und Anwohner, die Erschütterungen und Lärm befürchteten. Das Hochbahn-Viadukt wurde zu DDR-Zeiten rekonstruiert und unter Denkmalschutz gestellt. Mittlerweile Kult ist der Wurststand von Konnopke unter dem Hochbahnhof Eberswalder Straße. Schon seit 1930 verkauft Konnopke in der Schönhauser seine Wurst.
Als Zufahrtsstrecke zu den in Niederschönhausen residierenden SED-Oberen sowie als Protokollstrecke zum Gästehaus der Regierung im Schloss Schönhausen genoss die Schönhauser Allee ab den 1950er Jahren gewisse Privilegien. Weil verfallene Altbauten bei den hochrangigen Staatsbesuchern bekanntlich keinen guten Eindruck machen, wurde die Schönhauser Allee 1957 zum ersten innerstädtischen Sanierungsgebiet der DDR. Im Herbst 1989 wurde die wenige Schritte von der Schönhauser Allee entfernte Gethsemanekirche in der Stargarder Straße zu einem der Zentren des Widerstands gegen die Herrschenden. Nach der Wiedervereinigung war die Allee zunächst von Leerstand und Verfall geprägt. Doch mit dem Zuzug gut verdienender Bevölkerungsschichten und dem Touristenboom ist wieder Kaufkraft in die Straße gekommen.
bl
Einer der berühmtesten Bewohner der Straße, der russischstämmige Schriftsteller Wladimir Kaminer, versammelt in seinem Buch „Schönhauser Allee“ Geschichten über die Straße und ihre Bewohner.
Einmalige historische Einblicke gewährt der DEFA-Kultfilm von 1957 „Berlin – Ecke Schönhauser“.
"Berliner Geschäftsmeilen" - Lesen Sie auch:
- Kantstraße: Der Boulevard der Einwanderer
- Müllerstraße: die Straße der kleinen Leute
- Schönhauser Allee: Paradies für Erlesenes
- Wilhelminenhofstraße: Eine Straße in Warteposition
- Turmstraße: Eine Straße mit Ecken und Kanten
- Potsdamer Straße: Der raue Charme der Potse
- Berliner Allee: Kleinstädtisches Flair und großstädtische Gewerbemieten
- Alt-Tegel: Gastro-Meile mit Urlaubsfeeling
29.11.2016