Wärmedämmung, eine neue Heizungsanlage, Dreifachfenster oder gar eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung – energetische Modernisierungen versetzen Mieter oft in Angst und Schrecken. Teure Maßnahmen mit wenig Spareffekt tragen zur Gentrifizierung bei und werden gezielt zur Verdrängung von Bestandsmietern genutzt. Das ergab eine Studie der Technischen Universität Berlin am Beispiel von Pankow.
„Eine energetische Modernisierung ist keine Wohltat für Mieter“, stellt Christoph Schiebe fest. Der Soziologe hat in einem Forschungsprojekt an der TU Berlin die Auswirkungen solcher Maßnahmen auf die Mieter von 15 Häusern in Pankow untersucht.
„Die Modernisierung und Instandsetzung der Gebäude setzt diverse Mechanismen in Gang, die in der Kombination eine Verdrängung fördern“, so Schiebe. Die enorme Verteuerung des Wohnens in betroffenen Altbauten ist der Hauptgrund. Dazu kommt, dass sich die Bewohner durch die Veränderung ihres Wohnumfeldes entfremdet fühlen und sich die Bindung zum Wohngebiet weiter abschwächt, wenn Nachbarn wegziehen. Die Aussicht auf eine lange Bauphase erleichtert aus Sicht der Eigentümer den Leerzug des Hauses. Vereinzelt werden auch gezielt Entmietungsmethoden gegen wehrhafte Mieter angewandt.
Modernisierungsankündigung führt schon zur Flucht
Die Ankündigung von energetischen Maßnahmen hat bei den 366 untersuchten Pankower Haushalten zum Auszug von über 107 Mietparteien beigetragen. Das sind 30 Prozent – obwohl die Mieter eine individuelle Beratung und Härtefallregelungen in Anspruch nehmen konnten. Schiebe schätzt die Zahl der Verdrängten sogar noch höher, denn bei den meisten der untersuchten Häuser war die energetische Modernisierung schon vor dem Beginn seiner Untersuchung angekündigt worden, und diejenigen, die dann sofort ausgezogen sind, konnte die Studie nicht erfassen. Besonders von Verdrängung betroffen waren Familien, Alleinerziehende, ältere Menschen, Studierende und Empfänger von Sozialleistungen.
Bemerkenswert ist, dass ein Großteil der untersuchten Häuser der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau gehört, von der man eigentlich einen sozialverträglichen Umgang mit den Mietern erwarten würde. Christoph Schiebe hat aber beobachtet: „Der Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Eigentümern nimmt ab. So sind annähernd die gleichen Verdrängungsraten und ein ähnlicher Einsatz von Entmietungsstrategien zu beklagen.“
Ein Haus hat sich Christoph Schiebe besonders genau angesehen: Am Beispiel der Pestalozzistraße 4 in Pankow zeichnet er den Zerfall der Hausgemeinschaft innerhalb von drei Jahren nach. Vor der Modernisierungsankündigung lebten in dem Altbau 33 Mietparteien. Nach der Modernisierung sind nur zwölf Mietparteien im Haus verblieben. Von ihnen konnten fünf in ihre ehemalige Wohnung zurückziehen, zwei zogen innerhalb des Hauses um, und eine Mietpartei blieb auch während der Arbeiten in ihrer Wohnung. Vier Parteien wehrten sich gegen die Modernisierung, gegen sie laufen Duldungsklagen. Von den Ausgezogenen sind drei Haushalte in der Umsetzwohnung geblieben und nicht zurückgekehrt. Elf Mietparteien leben nun in Pankow-Süd und Weißensee verstreut – außerhalb der Laufentfernung zur Pestalozzistraße.
Schiebes Fazit: Die energetische Modernisierung wird gezielt als Instrument zur Verdrängung von Bestandsmietern genutzt. Für die betroffenen Mieter ist die energetische Modernisierung deshalb zu einem Sinnbild für die Gentrifizierung geworden. Und da eine Rückbesinnung der öffentlichen Wohnungsunternehmen auf ihre soziale Verantwortung gegenüber ihren Mietern nicht absehbar sei, hofft er, „dass die Mieter in Pankow trotz geringer finanzieller Möglichkeiten und prekärer Wohnverhältnisse weiterhin mit einem langen Atem gegen die Aufwertung und den Austausch in ihrer Nachbarschaft ankämpfen.“
Jens Sethmann
Kosten und Energieeinsparung nicht im Lot
Eine energetische Modernisierung liegt vor, wenn durch eine bauliche Veränderung Endenergie nachhaltig eingespart wird. Wie hoch der Einspareffekt für die Mieter sein wird, ist nicht entscheidend. Durch die Modernisierungsumlage können elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden. Diese Mietsteigerung ist oftmals weit höher als die Kostensenkung für Heizung und Warmwasser. Der Plan von Justizminister Maas, die Mieterhöhung von 11 Prozent auf 8 Prozent der Investition abzusenken, liegt derzeit wegen des CDU/CSU-Widerstands auf Eis. Der Deutsche Mieterbund und der Berliner Mieterverein fordern die Abschaffung der Modernisierungsumlage.
js
20.09.2021