Viele betrachteten früher den Milieuschutz als einen zahnlosen Tiger. Die rechtlichen Möglichkeiten wurden aber auch nur selten konsequent genutzt. Nachdem der Berliner Senat im März eine Umwandlungsverordnung erlassen hat, bekommt das Instrument mehr Biss. Und auch mit dem bisher nie ausgeübten Vorkaufsrecht kann man eine Menge erreichen.
In Milieuschutzgebieten müssen sich Bauherren Umbauten, Modernisierungen, Abrisse oder Nutzungsänderungen gesondert genehmigen lassen. Wenn die Bauverwaltung meint, dass die Bewohnerschaft durch die beantragten Maßnahmen verdrängt wird, kann sie diese verbieten. Seit der Änderung des Baugesetzbuches von 1998 gibt es aber eine große Einschränkung: Modernisierungen, mit denen der „zeitgemäße Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung“ hergestellt wird, müssen immer genehmigt werden. In der Praxis bedeutet das: Nur noch Luxussanierungen sind tabu. Die üblichen Sanierungen mit Badeinbau, Zentralheizung, Wärmedämmung und Fensteraustausch können nicht verhindert werden, auch wenn die daraus resultierenden Mietsteigerungen schon viele einkommensschwächere Mieter zum Auszug zwingen. Zudem urteilte das Oberverwaltungsgericht Berlin im Jahr 2004, dass in Milieuschutzgebieten keine Mietobergrenzen verhängt werden dürfen. Damit wurde der Milieuschutz entscheidend geschwächt.
In der Folge haben die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow aufgelistet, welche Wohnungsausstattungen genehmigt werden und welche nicht. In ihren aktuellen Genehmigungskriterien lehnen sie den Einbau eines zweiten Bades, einer Fußbodenheizung, eines Innenkamins und den Anbau eines zweiten Balkons sowie Wohnungszusammenlegungen grundsätzlich ab. Außerdem werden Wärmedämmungen unterbunden, wenn sie über die Mindestanforderungen der geltenden Energieeinsparverordnung hinausgehen. Einen Unterschied machen die Bezirke bei der Bewertung von Aufzügen: Während Pankow den Fahrstuhleinbau zulässt, behält sich Friedrichshain-Kreuzberg eine Ablehnung vor, wenn der Aufzug besonders teuer ist oder eine „negative Vorbildwirkung“ haben könnte.
Auch Nutzungsänderungen liegen in Milieuschutzgebieten unter einem Genehmigungsvorbehalt. Friedrichshain-Kreuzberg macht davon Gebrauch, um nicht genehmigte Ferienwohnungen wieder einer regulären Wohnnutzung zuzuführen – und zwar nicht mit der langen Übergangsfrist des im letzten Jahr vom Senat eingeführten Zweckentfremdungsverbots, sondern unverzüglich.
Die Möglichkeit, Abrisse zu untersagen, erhielt in den letzten Jahren eine größere Bedeutung. In attraktiven innerstädtischen Lagen werden immer öfter einfache Wohnhäuser abgerissen und durch teure Neubauten ersetzt. Seit der Neufassung der Berliner Bauordnung von 2006 braucht man im Allgemeinen keinerlei Abrissgenehmigung mehr. Die Erfahrung, den Abriss eines 50er-Jahre-Wohnhauses am Barbarossaplatz nicht verhindern zu können, war für den Bezirk Tempelhof-Schöneberg einer der Auslöser, Milieuschutzgebiete aufzustellen.
Seit 1998 gibt es auch die gesetzliche Möglichkeit, in Milieuschutzgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verhindern. Aber erst im März dieses Jahres beschloss der Berliner Senat eine entsprechende Umwandlungsverordnung. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist ein sehr einträgliches Immobiliengeschäft und ein Mietsteigerungs- und Verdrängungsmotor, denn sie geht meist mit Entmietungen und kostspieligen Modernisierungen einher. Dem können die Bezirke nun einen Riegel vorschieben.
In Milieuschutzgebieten dürfen sie die grundbuchliche Aufteilung eines Wohnhauses in Einzeleigentum untersagen. Genehmigt werden kann eine Umwandlung, wenn sich der Eigentümer verpflichtet, die Wohnungen innerhalb von sieben Jahren nur an die im Haus lebenden Mieter zu veräußern.
Ein sehr wirksamer Hebel, um soziale Belange durchzusetzen, ist das Vorkaufsrecht: Der Bezirk kann in einem Milieuschutzgebiet Wohnungen selbst zum Verkehrswert kaufen, indem er bei einer Veräußerung anstelle des Käufers in den Kaufvertrag eintritt. Für Eigentümer ist das ein Schreckgespenst, denn der Verkehrswert ist oft deutlich niedriger als der spekulative Marktwert. Dieses Szenario macht Eigentümer sehr viel kompromissbereiter für sogenannte Abwendungsvereinbarungen: Um den Vorkauf der Kommune abzuwenden, können Eigentümer zum Beispiel dazu verpflichtet werden, auf kostspielige Modernisierungen zu verzichten und bestimmte Miethöhen nicht zu überschreiten. Was in einem solchen Vertrag steht, ist Verhandlungssache zwischen Kommune und Eigentümer.
Bis vor Kurzem haben die Berliner Bezirke von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Es fehlten sowohl Erfahrung als auch das Geld, um im Ernstfall das Vorkaufsrecht auch tatsächlich auszuüben. Im Grunde brauchen sie die entsprechenden Finanzmittel nur sehr kurzzeitig, denn sie können die Immobilie gleich an einen vertrauenswürdigen Bestandshalter weiterverkaufen, zum Beispiel an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft.
Im April machte nun erstmals der Bezirk Tempelhof-Schöneberg das Vorkaufsrecht gegenüber der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) geltend. Die BImA hat drei Wohnhäuser an der Großgörschen- und Katzlerstraße im Milieuschutzgebiet Bautzener Straße an den Höchstbietenden zu 7,8 Millionen Euro verkauft. Das Bezirksamt bot dem Käufer erfolglos eine Abwendungsvereinbarung an und setzte dann sein Vorkaufsrecht ein. Nach einem Gutachten beläuft sich der Verkehrswert auf 6,32 Millionen Euro. Neuer Eigentümer soll die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag werden. Die BImA ist damit nicht einverstanden und antwortete mit einer Klage gegen den Bezirk. Wie es ausgehen wird, ist noch offen.
Der Deutsche Mieterbund will dem Milieuschutz die Zähne schärfen. Auf Antrag des Berliner Mietervereins entschied der Deutsche Mietertag im Mai, sich dafür einzusetzen, dass künftig wieder die Miethöhe berücksichtigt wird und auch Modernisierungen, die den allgemeinen Standard herstellen, untersagt werden können, wenn sie sehr kostspielig sind.
Jens Sethmann
Lesen Sie auch zu diesem Thema:
- Milieuschutz & Co: Unterschätzte Wirkung
- Der Weg zum Milieuschutz: Zögerlicher Durchbruch
- Milieuschutz und Politik: Ideologische Vorbehalte
- Milieuschutz in Berliner Bezirken: Schrittmacher und Bremser
- Milieuschutz deutschlandweit: Bayerische Vorreiter
- Die Umstrukturierungsverordnung: Mieterschutz für eilige Fälle
03.03.2018