Nachbarschaftsstreitigkeiten gehören zum Alltag – im Mietshaus ebenso wie in der Reihenhaussiedlung. Wer nicht auf einer einsamen Insel wohnt, wird sich mit Sicherheit schon mal über laute Musik, Bohrmaschinen am Sonntag, Fahrräder im Treppenhaus oder ähnliches geärgert haben. Da hilft nur eins: Rücksichtnahme gepaart mit Toleranz.
Die Deutschen gelten als Weltmeister darin, ihre Nachbarn wegen Kindergeschrei, Grillen auf dem Balkon oder ähnlichen Streitigkeiten vor den Kadi zu zerren. In einem Wohnhaus prallen eben unterschiedliche Gewohnheiten, Tagesrhythmen und Empfindlichkeiten aufeinander.
Bestes Beispiel: Lärm – der Streitpunkt Nummer eins. Zu Hause will man seine Ruhe haben – und darauf hat man auch einen Anspruch. Aber nicht jedes Geräusch ist verboten. Nächtliches Duschen beispielsweise ist ebenso hinzunehmen wie das Toben von Kindern oder der polternde Rollator in der Wohnung obendrüber. Grundsätzlich gilt: Überempfindliche müssen unter Umständen störende Geräusche hinnehmen. Erst dann, wenn ein normal empfindlicher Durchschnittsmensch das Geräusch nicht mehr erträgt, ist es unzulässig – es sei denn, es ist ortsüblich oder unvermeidlich.
Einige Beispiele aus der Rechtsprechung:
- Kinderlärm: Der Krach spielender und tobender Kinder muss in der Regel hingenommen werden. Die Gerichte setzen hier die Toleranzschwelle sehr hoch an. Trampeln, Stampfen, Lachen und Schreien – all dies gilt als „selbstverständlicher Ausdruck kindlicher Entfaltung“, wie es im Landes-Immissionsschutzgesetz heißt. Trotzdem müssen die Eltern darauf achten, dass andere Hausbewohner nicht unzumutbar gestört werden.
- Bohrmaschinen und Staubsauger: Beim Gebrauch müssen die allgemeinen Ruhezeiten eingehalten werden. Die meisten Hausordnungen sehen eine Nachtruhe von 22 bis 7 Uhr, eine Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr sowie eine Sonntagsruhe vor.
- Musizieren: Grundsätzlich gehört das Spielen eines Instruments zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung. Die meisten Gerichte halten zwei bis drei Stunden am Tag für zumutbar. In den Ruhezeiten muss Zimmerlautstärke eingehalten werden. Bei besonders lauten Instrumenten wie Klavier oder Saxofon bedeutet das de facto ein Spielverbot.
- Feiern: Ab 22 Uhr muss auf die Einhaltung der Nachtruhe geachtet werden. Übermäßiger Partylärm ist vertragswidrig und berechtigt den Vermieter, dem Mieter nach Abmahnung fristlos zu kündigen (AG Köln vom 11. September 1985 – 204 C 499/83).
Zoff gibt es mitunter auch wegen Qualm und Gestank. Dauerbrenner im Sommer: das Grillen auf dem Balkon. Hier urteilen die Gerichte höchst unterschiedlich. Einige halten dreimaliges Grillen im Jahr für tolerierbar, andere zweimal im Monat. Auf jeden Fall dürfen Nachbarn nicht durch Qualm oder Rauch belästigt werden. Je nach den örtlichen Gegebenheiten kann das auch bedeuten, dass man gar nicht mit Holzkohle grillen darf.
Ein anderer Streitpunkt ist das Rauchen. Grundsätzlich gilt: In der eigenen Wohnung oder auf dem Balkon darf gequalmt werden. Für Aufsehen sorgte kürzlich der Fall des Kölner Rentners Friedhelm Adolfs, dem nach 40 Jahren die Wohnung gekündigt wurde, weil er den Aschenbecher nicht leerte und seine Wohnung zum Flur hin lüftete. Doch während ihn das Landgericht zur Räumung verurteilte, hob der Bundesgerichtshof das Urteil dann wieder auf (BGH vom 18. Februar 2015 – VIII ZR 186/14).
Beim Berliner Mieterverein empfiehlt man ratsuchenden Mietern, bei Konflikten zunächst das Gespräch mit dem Nachbarn zu suchen. Hat man es mit uneinsichtigen Zeitgenossen zu tun, sollte man sich aber nicht scheuen, seine Rechte durchzusetzen. Unter Umständen darf die Miete gemindert werden. Außerdem kann der Vermieter den Störenfried abmahnen und gegebenenfalls sogar kündigen.
Birgit Leiß
Konfliktvermittlung
Erfolgversprechender als ein Rechtsstreit ist häufig eine Konfliktvermittlung (Mediation), wie sie der Berliner Mieterverein seinen Mitgliedern kostenlos anbietet. Bei einem solchen Verfahren setzen sich die Parteien zusammen mit dem Mediator an einen Tisch und versuchen – ohne Schuldzuweisungen und Vorwürfe – eine faire Lösung zu finden. „In 95 Prozent aller Fälle geht es um Lärm“, sagt der Mediator Marco Waelisch. Im Idealfall treffen beide Seiten verbindliche Vereinbarungen, zum Beispiel nur zu bestimmten Zeiten Klavier zu spielen. „Eine frühzeitige Beratung ist sinnvoll – ist der Konflikt bereits eskaliert, ist es oft zu spät“, so Waelisch.
bl
Mediation und Konfliktberatung
Kontakt: Tel. 030 226 26-187, Montag 18 bis 19 Uhr, außerhalb dieser Zeit bitte eine Nachricht hinterlassen
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20.06.2023