Fotos vom Zustand der Wohnung? Ein Zeugnis des Arbeitgebers? Die Frage, ob ich schwul bin oder schwanger? Es gibt Vermieterfragen, die übergriffig sind. Die Informationen, die aber über die Funkwellen „smarter“ Technik die Wohnung verlassen, sind oft wesentlich brisanter. Zwar macht Digitalisierung unseren Alltag sicherer, zuverlässiger und sparsamer. Aber sie bricht auch in geschützte Räume wie die Wohnung ein und ermöglicht einen immer umfangreicheren Zugriff.
Im Dezember letzten Jahres erreichte den Berliner Mieterverein (BMV) eine besorgte Anfrage: „Meine Mietwohnung wird in Eigentum umgewandelt. Ein Vertreter der Bank war … zum Ausmessen und Fotografieren bei mir. Ich lehnte Fotos meiner persönlichen Einrichtung ab. Die Bank ist damit nicht zufrieden und möchte nochmal kommen, um Fotos innen zu machen. Dürfen die das?“ Wibke Werner von der BMV-Geschäftsführung hat darauf eine klare Antwort: „Nein – persönliche Einrichtungen und Gegenstände dürfen nicht ohne Genehmigung eines Mieters fotografiert werden.“
Das Ansinnen ist eine Zumutung. Weil jedoch um solchen Zugriff auf das Private immer wieder gestritten wird, untermauern viele Urteile die Rechtslage. Eines fiel 2016 am Berliner Landgericht, als ein Vermieter nicht nur Zutritt zu einer Wohnung verlangte, sondern auch deren Zustand fotografieren und dokumentieren wollte. Er habe weder das Recht, sich selbst Zugang zur Wohnung zu verschaffen, noch dürfe er Einrichtungsgegenstände und gestapelte Kartons überprüfen oder fotografieren (Berliner Landgericht vom 6. April 2016 – 65 S 329/15).
Hinter der Wohnungstür – ob die nun in eine Miet- oder eine Eigentumswohnung führt – sind dem Zutritt Fremder deutliche Grenzen gesetzt: „Die Wohnung ist unverletzlich“, heißt es im Artikel 13 unseres Grundgesetzes.
Peter Schaar, bis 2013 Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit: „Die Privatsphäre ist grundsätzlich geschützt. Und unsere Wohnung gehört zu den besonders geschützten Bereichen.“ Sie soll sicher sein vor Zudringlichkeiten neugieriger Nachbarn, von Vermietern und Verwaltern. Auch das Eindringen von staatlicher Seite wird äußerst restriktiv gehandhabt: Dafür muss beispielsweise ein richterlicher Beschluss vorliegen, der mit Gefahrenabwehr oder dem Schutz von Personen und Gebäuden begründet ist.
Keine regelmäßigen Besichtigungen
Gänzlich können Vermieter, Vertreter der Hausverwaltung, Handwerker oder auch Ablesefirmen nicht vom Zugang zur Wohnung ausgeschlossen werden. Wenn ein konkreter sachlicher Grund vorliegt, muss Vermietern oder Dritten nach einer Ankündigung und terminlicher Absprache Zutritt zur Wohnung gewährt werden – zum Beispiel zur Wohnungsbesichtigung bei einem Verkauf, für eine Neuvermietung oder auch für Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten. „Es gibt allerdings kein unbeschränktes Besichtigungsrecht des Vermieters, etwa um in regelmäßigen Abständen den Wohnungszustand zu prüfen“, so Wibke Werner vom Berliner Mieterverein. Eine solche Klausel im Mietvertrag sei unwirksam.
Um die Anbringung einer Videokamera im Eingangsbereich des Mietshauses zu rechtfertigen, bedarf es schwerwiegender und wiederholter Vorkommnisse, beispielsweise Körperverletzungen, Raubüberfälle oder Vergewaltigungen. Fahrraddiebstähle, Beschädigungen an den Briefkästen oder der Hauseingangstür sowie das Abstellen von Sperrmüll reichen insoweit nicht aus. Derartige Vorfälle sind innerhalb eines Mietshauses alltäglich und rechtfertigen keine besonderen Maßnahmen, insbesondere keinen derart weitreichenden Eingriff in das Verhalten und die Rechte der Mieter wie eine Videokamera.
Geregelt ist die Videoüberwachung im Allgemeinen im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Dazu haben zahlreiche Gerichte in konkreten Streitfällen entschieden. So befand der Bundesgerichtshof (BGH) zum Thema Videoüberwachung in einem Grundsatzurteil, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen das Recht umfasst, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen.“ (BGH vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09)
Dieses Recht auf selbstbestimmten Umgang mit seinen Daten gilt nicht nur für Aufzeichnungsgeräte, die der Vermieter installieren möchte, um sein Eigentum zu schützen, sondern auch für Mieter, deren Kameras oder gar Drohnen über die Grenzen der eigenen Wohnung hinaus auf die Nachbarn und in ihr Privatleben gerichtet sind. Solche Neugier muss niemand dulden.
Andere Zudringlichkeiten sind weit schwieriger abzuwehren. Wer sich schon einmal mit hundert und mehr anderen Bewerbern um eine Wohnung bemüht hat, der weiß: Um Erfolg zu haben, muss mitunter ein großer Zugriff auf Persönliches eingeräumt werden. „So mancher Vermieter verlangt schon Einkommensnachweise beim bloßen Interesse an einer Wohnungsbesichtigung“, kritisiert Peter Schaar, der heute die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) leitet. „Das darf er nicht, aber es ist leider oft gängige Praxis.“
Dabei gelten klare gesetzliche Regeln über jene Informationen, auf die ein Vermieter ein Anrecht hat: Erst wenn jemand sich um eine konkrete Wohnung bewirbt, darf er nach dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit fragen: ob ein Arbeitsverhältnis besteht oder Transferleistungen gezahlt werden, wie hoch das Nettoeinkommen ist und welcher Betrag nach Abzug der laufenden monatlichen Belastungen für die Miete übrig bleibt. Die Nachweise darüber muss der Bewerber erst unmittelbar vor Abschluss des Mietvertrages vorlegen, damit der Vermieter die Angaben im Bewerbungsverfahren auch überprüfen kann.
Tatsächlich läuft das oft anders ab. Peter Schaar zählt eine Liste von ebenso sachfremden wie unverschämten Fragen auf, mit denen Wohnungssuchende von so manchem Vermieter konfrontiert werden: nach ihren Heiratsabsichten, einer Schwangerschaft oder späterem Kinderwunsch, nach der sexuellen Orientierung, der Zugehörigkeit zu einer Partei, einer Gewerkschaft, einer Mietervertretung. Und da die Fragen unzulässig sind, müssen sie auch nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden.
Ein Arbeitszeugnis für den Vermieter?
Aber die Forderungen von Vermietern können noch weiter gehen. Der Datenschützer: „Wohnungssuchende in meinem Bekanntenkreis wurden sogar um ein Arbeitszeugnis gebeten.“ Das von manch einem dann wohl auch vorgelegt werden wird, um Chancen im harten Auswahlverfahren zu haben.
Peter Schaar: „Es geht nicht an, dass der Druck auf dem Wohnungsmarkt den Persönlichkeitsschutz de facto außer Kraft setzt.“ Am 25. Mai tritt die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft. Dann drohen für solche Rechtsbrüche empfindliche Strafen.
„Beginnt hinter dieser Tür die Zukunft?“, fragt die Mieterzeitung des kommunalen Wohnungsunternehmens Degewo und stellt ein Haus vor, in das bei einer umfassenden Modernisierung neueste energiesparende Technik eingebaut wurden. Deren Kern ist eine moderne Heizung, die mit Messfühlern für die Raumtemperatur und das ausgeklügelte Lüftungssystem gekoppelt ist. Ein Schritt in Richtung „Smart Home“ – dem „intelligenten Zuhause“.
„Wenn man früher jeden einzelnen Heizkörper per Hand regeln musste und die Heizung meist nur ein Tag- und Nachtprogramm hatte, regelt das die neue Technik per Datenverkehr rund um die Uhr nach individuellem Gebrauch“, erklärt David Schick, Fachreferent der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (NRW). Dazu werden Sensoren angebracht, die beispielsweise die zu steuernde Raumtemperatur messen, die registrieren, ob Fenster und Türen geöffnet oder geschlossen sind, die Helligkeit in Räumen feststellen oder auch die Anwesenheit von Personen registrieren. Und schließlich braucht es eine Steuerzentrale, das Gateway, in dem alle Daten eingehen und von wo aus Befehle etwa an Heizungsventile gesendet werden.
Bei der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land wurden bisher 21.000 der insgesamt 43.000 Wohnungen mit „intelligenter Technik“ ausgestattet: funkablesende Heizkostenverteiler, Wasseruhren und – in Neubauten – auch Wärmemengenzähler. Von denen fließen die Daten über Netzwerkknoten in den Wohnungen zum Gateway, das sich beispielsweise im Keller eines Hauses befinden kann. „Alle Daten werden nach den gesetzlichen Regeln verschlüsselt und anonymisiert an den Server in unserem Unternehmen gesendet“, erklärt Patrick König, Geschäftsführer der „Stadt und Land Facility-Gesellschaft“. „Erst hier werden sie entschlüsselt und lassen sich über Identifikationsnummern den einzelnen Wohnungen zuordnen.“
Die Rechtsprechung erkennt den Einbau solch elektronischer Heizkostenverteiler als Wohnwertverbesserung an, weil aufgrund der genaueren Verbrauchserfassung die Möglichkeit der Energieeinsparung besteht. Der Mieter muss einem Austausch der alten Verdunster-Heizkostenverteiler also im Grunde zustimmen (und als Modernisierung bezahlen). Allerdings dürfen mit den neuen Geräten nur Daten erhoben werden, die zur Erstellung der Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung notwendig sind (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG). Auch der Ableseturnus von einem Jahr muss eingehalten werden – es sei denn, die Mieter erklären sich schriftlich mit einer häufigeren Erfassung ihrer Verbrauchsdaten einverstanden.
Das Wohnungsbauunternehmen Stadt und Land ruft die Daten 14-tägig ab. Patrick König: „Das ermöglicht uns eine deutlich genauere Abrechnung.“ Gespeichert werden die Daten über zehn Jahre auf einem unternehmenseigenen Server. Der Diplomingenieur: „Die Daten unserer Mieter sind bei uns sicher, und sie sind für uns nur Mittel zum Zweck. Der besteht in einer zuverlässigen und korrekten Abrechnung der Betriebskosten.“
Technischer Komfort und gläserner Nutzer
Solche technische Entwicklung sei durchaus zu begrüßen, meint Verbraucherschützer David Schick. Denn vernetzte Haustechnik habe ein großes Sparpotential und biete mehr Komfort für die Nutzer. Natürlich müsse man bei der „smarten Technik“ über Datenschutz und Datensicherheit nachdenken: „Ich muss mich fragen, wie groß das Datenvolumen ist, das ich erzeuge, wie meine Daten versendet und wo sie gespeichert werden.“ Wer hat Zugriff auf die Daten. Und: Wer könnte sich den Zugriff verschaffen?
Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk:„Wenn der Stromverbrauch in Echtzeit registriert wird, wird der ganz private Alltag auslesbar: Wann ich aus dem Haus gehe und wann ich zurückkomme. Wann ich dusche und wie lange, ob ich fernsehe, wann ich ins Bett gehe. Ob mein Mann und ich getrennte Schlafzimmer haben und wie oft wir Besuch zu uns einladen.“ Wer schützt diese persönlichen Daten? Wer garantiert, dass sie nicht verkauft, gehackt, missbraucht werden?
Dabei sind ablesbare Stromzähler keineswegs etwa das technische Ende der Fahnenstange: Mit smarter Technik lassen sich neben der Heizung auch die Küche, das Licht oder etwa ein Rollo an den Fenstern von unterwegs aus steuern.
Seit Oktober 2016 steht „Alexa“ – das Audiogerät zur digitalen Spracherkennung von Amazon – auf deutschen Wohnzimmer- oder Küchentischen, hört im eingeschalteten Zustand den Raum aktiv ab und setzt gegebene Befehle um. Das kann das Abspielen von Musik sein, das Aktivieren eines Weckers, das Verwalten des Kalenders oder das Erklären von Begriffen. Das Gerät kann aber auch Bestellungen auslösen und die gesamte Beleuchtung in Haus und Garten steuern. In den USA stehen mittlerweile über 3000 Funktionserweiterungen für „Alexa“ zur Verfügung.
Auch die Nutzung biometrischer Daten wie Gesichtserkennung und Fingerabdruck zum Öffnen der Haustür ist keine Zukunftsmusik mehr.
Und auf der Schwelle stehen Dienstleistungen wie „Smartlock“ (Amazon) und „Smart ready to drop“ (DHL), mit deren Hilfe Paketlieferungen sicher ankommen, auch wenn sie niemand persönlich entgegennehmen kann. Dafür erhält der Bote einmalig einen Code aufs Smartphone, mit dem er das – smarte – Türschloss zur Wohnung (Amazon) oder das Schloss zum Kofferraum des entsprechend umgerüsteten Autos (DHL) öffnen kann.
Die Digitalisierung unseres Lebens ist weit fortgeschritten – und sie hat natürlich ihre Vorzüge: Sie macht das Wohnen sicherer und deutlich bequemer. Den Datenschützern macht das „Internet der Dinge“ jedoch große Sorgen: „Mit zunehmender Digitalisierung unseres Lebens wird der Schutzraum Wohnung immer weiter aufgebrochen und alle Welt kann daran teilhaben“, sagt Datenschützerin Smoltczyk. Und wofür die Daten genutzt würden, die wir damit buchstäblich aus der Hand geben, kann niemand sagen.
Smarte Technik überfordert Verbraucher
Zudem kritisieren Verbraucherschützer fehlende gesetzliche Regelungen zur Haftung: „So gibt es noch keine verbindlichen Verpflichtungen für Sicherheits-Updates“, erklärt David Schick. „Wenn ich die Hardware kaufe, habe ich eine zweijährige Gewährleistung – was ist danach?“ Wenn beispielsweise Server abgeschaltet werden, wenn Geräte unsicher geworden sind, weil die Software nicht regelmäßig Schlupflöcher für fremde Zugriffe schließt und Fehlfunktionen verhindert?
Maja Smoltczyk rät, sich genau zu überlegen: Was brauche ich? Welchen Komfort verspreche ich mir? Kann ich meine Nutzung beschränken, das Gerät auch abschalten, Informationen löschen? Das aber setzt auch Kenntnis im Umgang mit der neuen Technik voraus. Und da sieht es eher trübe aus: Expertenschätzungen zufolge sind nur fünf Prozent der Internetnutzer überhaupt in der Lage, etwa Browsereinstellungen am Computer oder Smartphone zu verändern.
„Die Geräte müssen so ausgestattet werden, dass man seine Privatsphäre wahren kann“, fordert Berlins oberste Datenschützerin. Und dazu müsse man die Hersteller zwingen. Die handelten bisher aus reinen Verkaufsinteressen und sähen sich nicht in der Verantwortung, auch den Schutz ihrer Kunden zu gewährleisten. Auch das wird sich mit der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung ändern.
Rosemarie Mieder
Des Recht auf Datenschutz wird besser
Erste Überlegungen zu umfassendem Datenschutz gab es in den 1960er Jahren in den USA. Hintergrund war die sich entwickelnde Computertechnologie, die schon früh als Gefahr für den Schutz der Privatsphäre erkannt wurde. Das erste Datenschutzgesetz der Welt wurde dann jedoch 1970 in Deutschland – im Bundesland Hessen – erlassen. Erst 1977 folgte ein erstes Bundesdatenschutzgesetz. Heute regelt das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zusammen mit den Datenschutzgesetzen der Länder den Umgang mit personenbezogenen Daten, die in Informations- und Kommunikationssystemen oder auch manuell verarbeitet werden.
Ein entscheidendes Datum für den Datenschutz in Europa wird der 25. Mai dieses Jahres sein. An diesem Tag tritt die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft. Sie wird die Hersteller mehr als bisher in die Pflicht nehmen. Zum einen über das Marktortprinzip, das vor allem Unternehmen betrifft, die ihren Sitz außerhalb der EU haben – beispielsweise in den USA. Konnten die bisher auch für deutsche und im EU-Bereich lebende Kunden jene Datenschutzregeln anwenden, die in den Ländern ihres Geschäftssitzes gelten (Herkunftslandprinzip), müssen sie künftig europäisches Recht beachten, zum Beispiel beim Recht auf Löschung persönlicher Daten, dem besonderen Schutz Minderjähriger oder auch dem Beschwerderecht.
Wer diese Bestimmungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung missachtet, hat künftig mit empfindlichen Strafen zu rechnen. Liegt die Grenze für Bußgelder bisher bei 300.000 Euro, so wird dieser Rahmen vervielfacht: Nun drohen Strafzahlungen bis zu 20 Millionen Euro oder bis zu 4 Prozent des letzten weltweiten Jahresumsatzes.
Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk: „Die meisten Internetkonzerne beobachten das mit Nervosität und beginnen bereits, sich umzustellen. Europa ist ein zu großer Wirtschaftsraum – die Verordnung können sie nicht ignorieren, und sie können sie auch nicht umgehen.“
rm
09.12.2018