Knapp 50 Wohnkomplexe für Flüchtlinge in Form von modularen Unterkünften baut die Stadt aktuell. Das Projekt ist überteuert, der Bedarf ist zweifelhaft. Unregelmäßigkeiten und eine intransparente Informationspolitik rücken es in ein fragwürdiges Licht.
Seit 2016 baut der Berliner Senat Unterkünfte für Geflüchtete in Festbauweise. Der genaue Name: Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) – eigentlich schlichte Plattenbauten. Geplant sind 47 solcher Komplexe, zwei bis drei pro Bezirk, die zusammen etwa 6000 Wohnungen mit 372.000 Quadratmeter Wohnfläche aufweisen werden. 20 davon sind bereits in Betrieb, neun im Bau und die restlichen 18 in Planung.
Die Gründe für das Projekt wirken vernünftig: Wenn schon Unterkünfte für Geflüchtete, warum nicht solche, die man später in Sozialwohnungen umwandeln kann. Tatsächlich sollen die Wohnungen nach ihrer Nutzung als Heime für Geflüchtete dem regulären Mietmarkt zugeführt werden. Ein weiteres Argument: Die Unterbringung von Geflüchteten in Tempohomes und Turnhallen ist menschenunwürdig, in einer modularen Unterkunft mit echten Wohnungen hingegen zufriedenstellend. Betrachtet man das Megaprogramm jedoch insgesamt, wirkt es viel weniger vernünftig: Immens teuer, es nimmt Gesetze nicht so genau, Integrations-Fachleute kritisieren die Konzentration von Geflüchteten, und der Bedarf scheint fraglich.
Kosten: eine Milliarde – mehr oder weniger
16 Millionen Euro kostet ein MUF-Komplex im Schnitt, so Finanzsenator Kollatz in einer Pressekonferenz Anfang 2018. Bei 47 Komplexen sind das 752 Millionen Euro. Eine stattliche Summe – tatsächlich aber dürften die Kosten an der Grenze zu einer Milliarde Euro liegen oder sie sogar überschreiten. Die voraussichtlich realen Kosten zu ermitteln ist schwer, denn die Informationen aus dem Berliner Senat sind widersprüchlich.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Ein MUF-Komplex am Osteweg 63 in Steglitz-Zehlendorf sollte im Mai 2019 14,2 Millionen Euro kosten, wie aus einer Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Sebastian Czaja (FDP) hervorging. Geantwortet hatte zum damaligen Zeitpunkt der Senatsbeauftragte für Integration und Migration. Im Februar 2021 teilte dieselbe Behörde mit, der Bau koste 11,3 Millionen Euro. Zwischen den zwei Antworten waren zwei Jahre verstrichen und knapp drei Millionen Euro verschwunden.
Auf Basis dieser wechselhaften Zahlen schwanken die Baukosten pro Quadratmeter zwischen 2081 und 2600 Euro. Eine Bürgerinitiative, die sich gegen den Komplex am Osteweg bildete, errechnete sogar Baukosten von 3500 Euro pro Quadratmeter. Für ihre Rechnung gingen sie von einer Wohnfläche von 4040 Quadratmetern aus. Der Bau hat laut Senat insgesamt 5440 Quadratmeter, aber circa 1400 davon sind für eine Kita und gemeinschaftliche Flächen vorgesehen. Hochgerechnet auf das gesamte MUF-Programm lägen dessen reale Kosten damit bei 1,3 Milliarden Euro.
Und das sind nur die reinen Baukosten. Viele der MUF-Standorte sind Flächen, die für eine Wohnbebauung nicht vorgesehen waren – und werden zumeist kostspielig dafür hergerichtet. Waldflächen und Naturschutzflächen müssen gerodet werden, wie in Pankow an der Falkenberger Straße 151-154 oder in Zehlendorf am Dahlemer Weg 247. Die Gewerbefläche in Charlottenburg an der Quedlinburger Straße 45 musste von Altlasten befreit werden. Das benachbarte Kraftwerk lagerte lange Zeit Kohle auf der Fläche, die Sanierung kostete 2,8 Millionen Euro.
Andere Bauprojekte zeigen, wie wenig die Stadt für ihr Geld bekommt. Das Baukosteninformationszentrum Deutscher Architektenkammern (BKI) sammelt Zahlen zu Tausenden von abgeschlossenen Bauvorhaben. Im Katalog von 2020 findet man viele in der Größe vergleichbare Projekte in Berlin – die meisten kosten zwischen 1000 und 1500 Euro pro Quadratmeter. Es handelt sich dabei aber um umweltfreundliche Effizienzhäuser, mit Kellern, Tiefgaragen und Balkonen. Die modularen Unterkünfte haben weder Keller noch Balkone.
Auf dem Kostenniveau der MUFs findet man wiederum attraktive Vorzeigeprojekte – wie den Möckernkiez in Kreuzberg: ein neues Viertel mit 471 Wohnungen und rund 900 Bewohnern, von einer Genossenschaft errichtet. Die Kosten: 2800 Euro pro Quadratmeter im Bau, insgesamt etwas über 3100 Euro.
Neben Wohnungen gibt es dort Gemeinschaftsräume, eine Kita und eine Jugendeinrichtung sowie 20 Gewerbeeinheiten mit Supermarkt, Restaurants und Arztpraxen. 3500 Quadratmeter – fast zehn Prozent aller Flächen – dienen einer anderen Nutzung als Wohnen. Das erlaubt einen Kontakt der Bewohner untereinander und mit Menschen aus dem Umfeld. Viele der modularen Unterkünfte stehen hingegen auf der grünen Wiese, die meisten sind umzäunt und bewacht. Das ist einer der paradoxen Aspekte am Vorhaben des Senats: Die riesige Dimension macht es nicht günstiger, sondern teurer. Architektin Theresa Keilhacker vom Netzwerk AfA – Aktiv für Architektur: „Statt Plattenbauten von der Stange hätte man für weniger Geld qualitativ hochwertigeren Wohnraum planen können“, verbunden mit „integrativeren Konzepten, maßgeschneidert an die Umgebung angepasst.“
Vorbei an den Bedürfnissen der Bewohner – und der Umgebung
Die Bedürfnisse der Umgebung werden von den modularen Unterkünften eher durchkreuzt: So war der Standort am Osteweg seit Mitte der 2000er Jahre für eine Schule und eine Sporthalle vorgesehen, die das Viertel dringend gebraucht hätte, da es in den letzten zehn Jahren um 10.000 Bewohner wuchs. Der MUF-Komplex machte die langjährigen Planungen überflüssig. Ähnlich ist es beim MUF an der Rheinpfalzallee 83: Die Fläche war vom Bezirksparlament für eine Schule und eine Kita vorgesehen, diese stehen jetzt in Frage. Nicht nur deswegen verweigerte der Bezirk Pankow die Bearbeitung des Bauantrags für den Komplex. Er sei unvereinbar mit dem Bebauungsplan, vierstöckige Plattenbauten passten nicht in die Einfamlienhaus-Gegend. Der Senat genehmigte sich daraufhin den Antrag selbst, gestellt von der landeseigenen Wohnbaugesellschaft Howoge, die der Senat zum Bau der modularen Unterkunft gedrängt hatte. Ein Gericht erklärte die Genehmigung im Oktober 2020 für gesetzeswidrig. Thomas Weischede, der Anwalt jener Handvoll Nachbarn, die gegen den Bau klagten, sagt dazu: „Die Einschätzung liegt nahe, dass hier vom Land Berlin vorsätzlich geltendes Baurecht außer Kraft gesetzt werden sollte.“
Letzte Frage: Braucht Berlin die modularen Unterkünfte?
Laut Landesamt für Flüchtlingsfragen gab es Ende 2020 rund 19.000 Geflüchtete in Berlin. Parallel dazu lag die Unterbringungskapazität von Geflüchteten bei 24.267 Plätzen, so die Senatsbeauftragte für Integration im Oktober 2020. Auch wenn man den zu erwartenden Zuzug von Geflüchteten hinzurechnet, werden die Kapazitäten nicht überschritten. Warum also dieses überteuerte MUF-Programm, das offenbar mit wenig Rücksicht auf Verluste durchgedrückt wird? Die Begründung steht aus.
Adrian Garcia-Landa
100 Fragen, keine Klarheit
Die Modularen Unterkünfte für Flüchtlinge stoßen bei den Berliner Abgeordneten auf ein außergewöhnliches Interesse: Insgesamt 110 schriftliche Anfragen gab es zum Thema im Berliner Parlament – knapp 80 Prozent davon in der aktuellen Wahlperiode. Klarheit zu vielen Aspekten, insbesondere zu den erwarteten Kosten, gibt es aber nach wie vor nicht. Gestellt wurden die Anfragen überwiegend von Abgeordneten der Opposition. Aus den Reihen der Koalitionsparteien fragte nur eine Parlamentarierin nach, dafür umso kritischer: Bettina Jarasch, die Kandidatin der Grünen für das Amt der Regierenden bei der Wahl im Herbst dieses Jahres. Ihre Fragen fielen durch Zielgerichtetheit und Hintergrundwissen auf. Insbesondere die Finanzierung der Unterkünfte schien Jarasch zu interessieren – und ob Bundesmittel dabei eine Rolle spielen.
agl
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27.02.2021