ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
Seit vergangenem Jahr gilt der Berliner Mietendeckel. Zum einjährigen Bestehen lautet die Bilanz des Berliner Mietervereins (BMV): Das Gesetz verschafft den Mieterinnen und Mietern eine deutliche Entlastung, auch wenn es wegen der weit verbreiteten Schattenmieten noch nicht seine volle Wirkung entfalten kann.
Als Senat und Abgeordnetenhaus im Februar 2020 den Mietendeckel in Kraft gesetzt hatten, war das „ein großer Schritt zur Stärkung des Mieterschutzes“, so BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Das Gesetz zeige, „dass Wohnungen keine Waren wie andere sind und dass der Staat wegen des ungleichen Verhältnisses auf angespannten Märkten eine große Verantwortung trägt, um den sozialen Ausgleich zu gewährleisten.“ „Erfreulicherweise verhalten sich die meisten Vermieter gesetzeskonform“, stellt Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) fest. Es wurden bislang bei den Bezirken 2785 und bei der Senatsverwaltung 1545 Verstöße registriert. Scheel warnt vor Umgehungsversuchen: „Verstöße werden von Amts wegen verfolgt und geahndet. Das Bußgeld kann bis zu 500.000 Euro betragen.“
Die Immobilienportale Immoscout24 und Immowelt haben ebenfalls zum einjährigen Jubiläum die Wirkung des Mietendeckels untersucht. Immoscout hat festgestellt, dass in den auf seinem Portal veröffentlichten Inseraten für Bestandswohnungen die Angebotsmieten innerhalb des letzten Jahres um 7,8 Prozent zurückgegangen sind. Bei Immowelt beträgt der Rückgang 4 Prozent. Beide Portale stellen gleichwohl eine breite Missachtung des Mietendeckels fest: 76 beziehungsweise 80 Prozent der Angebote überschreiten die Obergrenzen. Dahinter verbergen sich die sogenannten Schattenmieten: Vermieter schreiben Mieten in den Mietvertrag, die das Mietendeckel-Limit oft weit übertreffen, um sich für den Fall des Scheiterns oder Auslaufens des Gesetzes höhere Mieten zu sichern – so zumindest ihr Kalkül. Immoscout hat darüber hinaus erkannt, dass in 3,1 Prozent der Inserate Wörter wie „Abschlag“ oder „Nutzungsentgelt“ auftauchen, mit denen Vermieter den Deckel zu umgehen versuchen. Laut Immoscout sind in den letzten zwölf Monaten 19 Prozent weniger Mietwohnungen angeboten worden als im Jahr zuvor. „Der Berliner Mietendeckel hat das Auseinanderdriften des Wohnungsmarktes nochmal befeuert. Für Mieter wird es schwieriger, auf dem freien Markt günstigen Wohnraum zu finden, da die Zahl der angebotenen Mietwohnungen schrumpft“, meint Immowelt-Chef Cai-Nicolas Ziegler.
Das BGH-Urteil wird wieder Bewegung in den Markt bringen
Am „Auseinanderdriften“ ist aber nicht der Mietendeckel schuld, sondern es sind die Vermieter, die das Gesetz mit Schattenmieten unterlaufen. „Schattenmieten sind mitverantwortlich für die gesunkene Mobilität und das damit einhergehende geringere Wohnungsangebot“, erklärt Reiner Wild. „Ein rational handelnder Mieter wird, so es denn geht, vor einem Umzug noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten, in der Hoffnung, dass dann auch die Frage der Schattenmieten geklärt wird. Sollte der Mietendeckel verfassungsgemäß sein, wird es wieder mehr Bewegung geben.“
Auch der BMV schätzt, dass 80 Prozent der Vermieter höhere als die deckelkonforme Miete verlangen. Verbände der Immobilienwirtschaft hatten ganz ausdrücklich zur Vereinbarung von Schattenmieten geraten. Der BMV und der Senat halten die Schattenmieten hingegen – wie es auch schon zwei Kammern des Landgerichts bei Mieterhöhungen bestätigt haben – für unzulässig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung steht allerdings noch aus. Derweil geht das Bezirksamt Pankow erstmalig gegen Schattenmieten vor. Dem Immobilienkonzern Akelius hat es unter Androhung eines Bußgeldes verboten, seine bisher in neuen Mietverträgen angewandte Schattenmietklausel zu benutzen.
Auch dem Fazit des Immoscout-Reports widerspricht BMV-Chef Wild: „Dass der Mietendeckel die Gebäudesubstanz und die energetische Nachhaltigkeit gefährde, trifft nicht zu.“ Für die Substanzsicherung sorge schon der Härtefallanspruch des Vermieters. Die energetische Gebäudesanierung kann weiterhin in einem sozialverträglichen Rahmen durchgeführt werden. Schon vor 2019, als noch elf Prozent der Modernisierungskosten uneingeschränkt auf die Miete umgelegt werden konnten, wurde zu wenig modernisiert, um die Klimaschutzziele zu erreichen. „Es ist ein Irrglaube, dass maximale Rendite den gesellschaftlichen Auftrag des Klimaschutzes bei Wohngebäuden besorgt“, so Wild.
DIW: Berlin soll mehr bauen
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Auswirkungen des Mietendeckels untersucht. Durch die Auswertung von Vermietungsanzeigen einen Monat vor und nach dem Inkrafttreten des Mietendeckels stellte das DIW fest, dass die gedeckelten Mieten 11 Prozent niedriger sind, aber auch dass die Zahl der Wohnungsangebote um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. „Die mit dem Mietendeckel einhergehende Angebotsverknappung ist alarmierend, da dadurch Menschen, die umziehen müssen, viel schwieriger als ohnehin schon eine Wohnung finden“, sagt DIW-Studienautor Konstantin Kholodilin. Das Fazit der Studie: Berlin solle lieber „größere Anstrengungen beim Wohnungsneubau“ unternehmen.
Der BMV widerspricht. Am Rückgang der Vermietungsanzeigen habe zweifellos die Pandemie einen großen Anteil. Das DIW geht hingegen davon aus, dass Vermieter wegen des Deckels lieber gar nicht statt zu einem gedeckelten Preis vermieten, sondern freien Wohnraum zurückhalten. Das Leerstehenlassen ist aber eine verbotene Zweckentfremdung.
Als falsch erwiesen sich zwei Prophezeiungen der Mietendeckel-Gegner: Weder ist die Neubautätigkeit zurückgegangen, noch sind mehr Mietwohnungen verkauft worden. Der Gutachterausschuss für Grundstücksverkäufe weist nach, dass bei Mehrfamilienhäusern die Kaufpreise nach Jahren massiven Anstiegs erstmals wieder gesunken sind.
Dass von der Absenkung vorrangig gutverdienende Haushalte oder nur Professoren in Kudamm-Seitenstraßen profitieren würden, wie die Immobilienlobby der Öffentlichkeit weismachen möchte, ist für BMV-Geschäftsführer Wild „barer Unsinn“. Richtig sei vielmehr, dass in den Genuss der Senkung Mieterinnen und Mieter kämen, die in den letzten Jahren teure Modernisierungen über sich ergehen lassen mussten oder in jüngster Vergangenheit einen neuen Mietvertrag unterschrieben haben. „Der Versuch, Neid in der Mieterschaft zu säen, ist durchsichtig und wird keinen Erfolg haben“, so Wild.
Jens Sethmann
Absenkungsansprüche aus dem BMV-Mietendeckelrechner
Seit November 2020 werden überhöhte Mieten abgesenkt. Davon profitieren rund 365 000 Haushalte. Der BMV hat die Aufrufe des Mietendeckelrechners auf seiner Internetseite ausgewertet. Bei 108 762 Abfragen von Ende November 2020 bis Ende Februar 2021 ergab sich in 77 292 Fällen ein Absenkungsanspruch – also bei über 70 Prozent der Anfragenden. Sie können im Durchschnitt ihre monatliche Nettokaltmiete um 211,10 Euro reduzieren.
Mietendeckel in Kürze
Das Gesetz über die Mietenbegrenzung im Wohnungswesen (MietenWoG) ist am 23. Februar 2020 in Kraft getreten und gilt für fünf Jahre in allen freifinanzierten Wohnungen. Ausgenommen sind preisgebundene Wohnungen, Wohnheime, Trägerwohnungen und Neubauten ab 2014. Die Nettokaltmieten wurden auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren. Sie können erstmals im Januar 2022 um bis zu 1,3 Prozent erhöht werden. Beim Abschluss neuer Mietverträge darf die Miete nicht höher sein als beim Vormieter am 18. Juni 2019 und auch bestimmte Obergrenzen nicht überschreiten. Modernisierungen dürfen die Miete höchstens um 1 Euro pro Quadratmeter ansteigen lassen. Seit dem 23. November 2020 müssen auch in laufenden Mietverhältnissen überhöhte Mieten abgesenkt werden. Als überhöht gilt eine Miete, die die festgeschriebenen Obergrenzen um mehr als 20 Prozent überschreitet. Ob man Anspruch auf eine Mietsenkung hat, lässt sich mit dem Mietendeckelrechner des BMV überprüfen.
Der Mietendeckel ist ein gültiges Gesetz, doch CDU/CSU und FDP sowie Vermieter klagen gegen den Mietendeckel, weil sie meinen, er greife zu tief in das Eigentumsrecht ein, und Berlin sei als Bundesland gar nicht dafür zuständig. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung darüber im ersten Halbjahr 2021 angekündigt.
js
23.09.2021