Die Berliner Bezirke nutzen den Milieuschutz in höchst unterschiedlicher Weise. Einige Bezirksverwaltungen arbeiten offensiv mit ihm, die meisten sind jedoch desinteressiert oder stehen dem Milieuschutz sogar offen ablehnend gegenüber.
Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow sind seit langen Jahren die Milieuschutz-Musterknaben. Der Altbezirk Kreuzberg gehörte neben Tiergarten zu den Berliner Vorreitern.
Ab 1995 wies er in seinen Altbaukiezen großflächige Milieuschutzgebiete aus. Heute genießen mehr als die Hälfte aller Kreuzberger diesen Schutz. Friedrichshain hatte hingegen zunächst nur ein Milieuschutzgebiet – den Boxhagener Platz. Mit der Petersburger Straße kam 2014 ein großes Gebiet hinzu, rund um die Weberwiese ist ein weiteres Milieuschutzgebiet beschlossen.
Prenzlauer Berg gab 1997 den Wohngebieten, die bei der Ausweisung zum Sanierungsgebiet leer ausgingen, den Milieuschutz als „Trostpflaster“. Nach und nach folgten bis 2003 weitere Gebiete. Der Flickenteppich aus vielen kleinen Milieuschutz-Ecken löste sich erst 2014 auf, als der Bezirk Pankow die mittlerweile aufgehobenen Sanierungsgebiete ebenfalls unter Milieuschutz stellte. Seither sind die Altbaubereiche von Prenzlauer Berg fast flächendeckend erfasst.
In die Riege der aktiven Milieuschützer hat sich 2013 auch Tempelhof-Schöneberg eingereiht. Nachdem der Bezirk zuvor vollkommen milieuschutzabstinent war, stellte er gleich drei Schöneberger Gebiete unter Schutz. Für ein viertes Milieuschutzgebiet ist der Aufstellungsbeschluss schon gefasst.
Der Bezirk Mitte hat 2007 und 2008 im Stephankiez, im Huttenkiez und in der Friedrich-Wilhelm-Stadt den Milieuschutz aufgehoben. Lediglich in der Oranienburger Vorstadt – seit 2003 unter Milieuschutz – hielt Mitte die Verordnung aufrecht. Im Altbezirk Mitte hätte der Milieuschutz viel bewirken können, wenn er denn zum Beispiel in der Rosenthaler Vorstadt oder am Zionskirchplatz rechtzeitig eingesetzt worden wäre. Wedding und Moabit hielt die Bezirksverwaltung offenbar für gentrifizierungsresistent. Anhaltende Forderungen von Stadtteilinitiativen bewegten den Bezirk erst im letzten Jahr zu einem Grob-Screening. Die im Januar 2015 vorgestellten Ergebnisse sind recht eindeutig: Zwei sehr große Gebiete um den Leopoldplatz und an der Turmstraße wurden als „Verdachtsgebiete“ identifiziert, in denen die Voraussetzungen für den Milieuschutz vorliegen. Für diese Stadtteile mit zusammen rund 90 000 Einwohnern sollen die notwendigen vertiefenden Untersuchungen durchgeführt werden. Trotzdem hat sich das Bezirksamt noch nicht zu einem Aufstellungsbeschluss durchgerungen und lässt so unnötig Zeit verstreichen.
Keine Eile hat auch das Bezirksamt Neukölln. Einen Einwohnerantrag zur schnellen Einführung des Milieuschutzes in ganz Nord-Neukölln lehnten SPD und CDU ab. Das Bezirksamt hatte jahrelang den Milieuschutz als wirkungslos abgelehnt und mit dieser Begründung auch 2001 den Milieuschutz im Schillerkiez abgeschafft. Unter dem Druck des Mietenbündnisses Neukölln sagte die Bezirks-SPD im September 2014 Voruntersuchungen in den beiden Quartieren Reuterplatz und Schillerkiez zu. Greifbares gibt es allerdings noch immer nicht. Die Neuköllner SPD beantragte anstelle des abgelehnten Einwohnerantrags, dass das Bezirksamt bis zum Ende des dritten Quartals einen Zeitplan für weitere Untersuchungen vorlegen solle.
Wenig Elan zeigt auch Charlottenburg-Wilmersdorf. Seit 2013 wird hier geprüft, wo der Milieuschutz angebracht wäre – bis heute ohne Ergebnisse. Der Bezirk, der 2003 den Milieuschutz am Klausenerplatz abgeschafft hat, beklagt Personalmangel und scheut die Ausgabe von 10 000 Euro für eine Sozialstudie.
Treptow-Köpenick ist mittlerweile einen Schritt weiter: Für den Karl-Kunger-Kiez in Alt-Treptow startete im März die Haushaltsbefragung für die Sozialuntersuchung. Einen Aufstellungsbeschluss hat das Bezirksamt aber noch nicht gefasst. Die Untersuchungsergebnisse werden in einigen Monaten erwartet.
Lichtenberg hat sich wiederum vom Milieuschutz verabschiedet. Im September 2014 kam das Bezirksamt zu der Überzeugung, dass bei den meisten Modernisierungen nur ein zeitgemäßer Standard hergestellt wird, der ohnehin genehmigt werden muss. „Der Aufwand zur Erstellung von Milieuschutzverordnungen steht in keinem Verhältnis zum Nutzen“, so das Fazit dort. Seinerzeit gab es aber noch nicht die Möglichkeit, Eigentumsumwandlungen zu verhindern. Um neue Möglichkeiten der Intervention nicht zu verschenken, haben die Grünen und Linken im Bezirksparlament eine erneute Prüfung beantragt.
In Reinickendorf entzündete sich an der geplanten Modernisierung der Siedlung am Steinberg („Klein-Kleckersdorf“) eine Debatte um den Milieuschutz. Das Bezirksamt lehnte ihn ab, die Bezirks-Grünen legten hingegen ein Rechtsgutachten vor, das dem Milieuschutz dort eine realistische Chance attestiert.
Auch in Steglitz-Zehlendorf ist das Thema angekommen. Im Mai entschieden die Bezirksverordneten einstimmig, für den gesamten Bezirk die vorhandenen Daten auszuwerten, um zu erkennen, wo der Milieuschutz eingesetzt werden könnte. Gar keine Milieuschutzaktivitäten gibt es nur in den Bezirken Spandau und Marzahn-Hellersdorf.
Jens Sethmann
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03.03.2018