Längst gibt es auch in Deutschland abgeschlossene und gut bewachte Wohnquartiere für Besserverdienende. Je weiter sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet, desto mehr solcher „gated communities“ werden gebaut, auch in Berlin. Diplomatenpark, Prenzlauer Gärten und Marthashof sind nur der Anfang und ein Test der Investoren, was in der Stadt verkäuflich und vermietbar ist. Erstklassige Lage und Top-Ausstattung gehören zum Konzept.
Gated Communities sind der extremste Ausdruck der sozialen Abgrenzung einer kleinen Bevölkerungsgruppe gegenüber dem städtischen Umfeld. Sie widersprechen der Idee der Stadt als offenes, demokratisches, sozial integrierendes Gemeinwesen. Gerade in Zeiten zunehmender Verdichtung geht der Allgemeinheit damit öffentlicher Raum verloren. Im Extremfall können sich in Gated Communities isolierte Parallelgesellschaften herausbilden.
Auch in Berlin trennen Zäune inzwischen Arm und Reich – die baulichen Maßnahmen entsprechen den Mauern im Kopf. Gleich und gleich gesellt sich gern, und wer viel zu verlieren hat, will auch viel Sicherheit. Der Zugang zu den Gebäuden der Allées des Châteaux in Berlin-Buch wird über die einzelnen Wohnungen gesteuert. Nur mit entsprechenden Sicherheits-Cards kommen Fahrzeuge auf das Areal. Auch die Stadtvillen im Diplomatenpark an der Clara-Wieck-Straße im Stadtteil Tiergarten sind eingezäunt und von Besuchern nur mit Zustimmung des Doorman zu betreten. Zum Sicherheitsstandard gehören die Videoüberwachung des Hauseingangs und der Tiefgarage, eine Video-Gegensprechanlage, ein Überfallknopf und Aluminiumrollläden sowie Alarmglas im Erdgeschoss. Hier wohnen vor allem Diplomaten mit ihren Familien.
In den „Classic Flats“ und „Townhouses“ der Wohnanlage Marthashof im Stadtteil Prenzlauer Berg wohnen vor allem Ärzte, Architekten, Manager und Künstler – in exklusiven Eigentumswohnungen, aber auch zur Miete. Eine 70-Quadratmeter-Wohnung kostet zurzeit 1200 Euro Miete im Monat. Als die Stofanel Investment AG 2008 ihr Projekt eines „Urban Village“ auf der Brache an der Schwedter Straße vorstellte, formierte sich die „AnliegerInitiative Marthashof“ (AIM), die seitdem gegen die „erlebte Gentrifizierung„, die „antisoziale Plastik“ und die „Verwüstung des historischen Standorts einer einmaligen sozialen Einrichtung“ protestiert. Streitpunkt ist die Nutzung des zur Straße offenen, 400 Quadratmeter großen Freigeländes.
Sicherheits- und Szenegefühl zugleich
Familie S. zog als eine der ersten in den Marthashof. Auch wenn Martin und Simone S. gut verdienen – als reich betrachten sie sich nicht. Sie seien hierher gezogen, weil sie hier sowohl das Umfeld der „Szene“ haben als auch Ruhe und Sicherheit. Simone S.: „Das ist hier doch mehr eine gefühlte Abgeschlossenheit.“ Anwohner fühlen sich dagegen tatsächlich ausgeschlossen, denn die abgeschirmten Siedlungen partizipieren vom Kiez, geben diesem allerdings nichts zurück.
In den Prenzlauer Gärten, Berlins erstem Townhouse-Quartier nach englischem Vorbild, an der neuen Straße „Am Schweizer Garten„, an der Grenze zwischen den Stadtteilen Prenzlauer Berg und Friedrichshain gelegen, wohnen nach Auskunft des Vermieters zu 90 Prozent Familien. „Paradiesisch wohnen – mitten in Berlin!“ verspricht das Vertriebsbüro, das gern auf die Nähe zum Volkspark Friedrichshain verweist und Parallelen zum Hyde Park in London und zum Englischen Garten in München bemüht. Das Areal ist von einem mannshohen Zaun umgeben. Das Rolltor an der Straße Am Friedrichshain ist zurzeit noch geöffnet. Geplant ist allerdings, es nachts abzuschließen und mit einem Chipkartensystem auszustatten.
Weitere Großprojekte entstehen zurzeit an der Bäkewiese in Griebnitzsee und an der Clayallee in Zehlendorf – gegen den massiven Protest von Anwohnern und Naturschützern. Die Streletzki-Gruppe baut in Alt-Stralau 34 Townhouses mit einer „Privatstraße„. Auch das „Goldene Haus“ in Alt-Stralau wird über einen Doorman verfügen. Hier werden die Wohnungen vor allem an Ausländer verkauft. Nach Auskunft der Investoren legen diese besonderen Wert auf einen gehobenen Sicherheitsstandard.
Die Universität Stuttgart untersuchte im Rahmen des Forschungsprojektes „Zukunft der Stadtgesellschaften“ auch Tendenzen „residentieller Segregation“. Steuert Deutschland auf Verhältnisse zu, in denen Arme und Reiche strikt getrennt voneinander leben? Noch ist „bewachtes Wohnen“ hierzulande eine Randerscheinung. Noch hat das Planungsrecht das Gemeinwohl im Blick. Trotzdem: Prof. Dr. Tilman Harlander vom „Institut Wohnen und Entwerfen“ der Universität Stuttgart sieht diese Entwicklungen als zugespitzten Ausdruck einer sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem damit einhergehenden allmählichen Auseinanderdriften der Stadtgesellschaften. Er fragt: „Entwickelt sich das neue Stadtwohnen zu einer Domäne der Reichen und Superreichen, in der für Arme, ja selbst für klassische mittelständische Familien kein Platz mehr sein wird?“
Die Stadtgesellschaft driftet auseinander
Prof. Dr. Georg Glasze vom Institut für Geographie der Universität Erlangen-Nürnberg verweist darauf, dass in den Gated Communities auch die Gefahr besteht, dass sich autoritäre oder oligarchische Strukturen entwickeln – als Alternative zu einer öffentlich-kommunalen Organisation: „Konsequenz einer solchen Siedlungsorganisation wäre, dass die Nachbarschaft jedes Einzelnen allein von der ökonomischen Leistungsfähigkeit bestimmt würde.“ Sein Fazit: „Demokratisch legitimierte und leistungsfähige Kommunen schützen vor den gesellschaftlichen Risiken, die mit einer privatwirtschaftlichen Siedlungsorganisation verbunden sind.“ Aber was passiert, wenn die Leistungsfähigkeit der Kommune immer mehr zurück geht?
Sozial und funktional durchmischte Quartiere waren bisher charakteristisch für viele städtische Quartiere. Inzwischen ist eine verstärkte Tendenz zu sozial homogeneren Vierteln zu beobachten, wo Menschen wohnen, die bestimmte Lebensstile und Wertvorstellungen teilen. Strukturell erzwungen findet andererseits eine sozialräumliche Verdichtung bestimmter Problemgruppen in sozial benachteiligten Quartieren statt. Die Spaltungs- oder doch zumindest sozialräumlichen Differenzierungsprozesse bilden die vertikale Schichtung einer Gesellschaft horizontal im Raum ab.
Das vom preußischen Stadtplaner James Hobrecht 1868 formulierte Ideal vom „empfehlenswerten Durcheinanderwohnen“, das mehr als ein Jahrhundert lang den Berliner Städtebau dominierte, steht auf dem Prüfstand. Bleibt zu hoffen, dass es in Berlin bei der „Light-Version“ der Gated Communities bleibt. Die freie Zugänglichkeit des öffentlichen Raums gehört zu den unbedingt schützenswerten Kernbestandteilen der Städte.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 12/13
Fotos: Nils Richter
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Wohnform mit Wachstums-Trend
Gated Communities sind abgeschirmte, geschlossene und bewachte Wohnkomplexe mit Zugangsbeschränkungen. Die Größe reicht von einzelnen Appartementblöcken bis zu großflächigen Siedlungen für über 100.000 Einwohner mit eigener Infrastruktur wie Einkaufsmöglichkeiten, Gemeinschaftseinrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Arbeitsstätten. Seit den 1970er-Jahren steigt die Zahl dieser Wohnkomplexe kontinuierlich, vor allem in den Ballungszentren Nord- und Südamerikas. Auch in Asien und Europa gibt es seit Beginn des 21. Jahrhunderts diese Wohnform.
rb
07.05.2018