Was ist eigentlich ein Sanierungsgebiet? Wo kann die Stadt das Vorkaufsrecht nutzen? Was ist in einem städtebaulichen Vertrag geregelt? Und was sagt ein Bebauungsplan aus? Die bau- und wohnungspolitische Debatte ist voller Fachbegriffe, die das MieterMagazin in einer kleinen Serie erklären will. Im dritten Teil geht es um die Schutzinstrumente des Baugesetzbuches.
Das wichtigste Schutzinstrument des Baurechts ist die soziale Erhaltungssatzung, besser bekannt als Milieuschutz. Ihr Ziel ist es, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten. Das bedeutet: Der Milieuschutz ist nicht vorrangig ein Schutz für die einzelnen Mieter, sondern für die Gesamtheit der Bewohner. Die Bezirke können Milieuschutzgebiete aufstellen, wenn sie in Sozialstudien nachweisen, dass es im betreffenden Stadtteil einen hohen Aufwertungsdruck gibt und dadurch viele Bewohner von Verdrängung bedroht sind. In Milieuschutzgebieten werden Luxusmodernisierungen, die die Mieten stark hochtreiben würden, untersagt. Dazu zählen Gästebäder, Zweitbalkone oder Wohnungszusammenlegungen. Modernisierungen, die lediglich den „zeitgemäßen Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung“ herstellen, müssen jedoch immer genehmigt werden. Seit 2015 können die Bezirke in Milieuschutzgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verbieten und damit eine große Verdrängungsgefahr eindämmen. Zudem nutzen die Bezirke seit zwei Jahren immer häufiger ihr Vorkaufsrecht. In acht Berliner Bezirken gibt es zurzeit 56 Milieuschutzgebiete mit rund 800.000 Einwohnern. Keinen Einfluss hat der Milieuschutz auf normale Mieterhöhungen.
Milieuschutz gegen Verdrängung
Der Milieuschutz ist nur eine von drei Arten der Erhaltungssatzungen nach Paragraf 172 des Baugesetzbuches (BauGB). Eine weitere ist die städtebauliche Erhaltungssatzung. Sie soll die äußere Gestalt eines bestimmten Gebietes schützen, ohne dass ein so strenger Maßstab wie beim Denkmalschutz angelegt wird. Städtebauliche Erhaltungsgebiete sind zum Beispiel gut erhaltene Altbau-Wohngebiete oder historische Dorfanlagen. Die Bewohner genießen dabei keinen besonderen Schutz. Da hier aber beispielsweise der Anbau von Balkonen oder Außenaufzügen in der Regel unerwünscht ist, sind die Mieter hier auch vor solchen mietsteigernden Modernisierungen sicher.
Die Umstrukturierungssatzung ist eine soziale Erhaltungssatzung für dringende Fälle. Wie der Milieuschutz verfolgt sie das Ziel, Mieter vor Verdrängung zu schützen, lässt sich aber schneller und konkreter handhaben. Der Grundsatz: Im Umstrukturierungsgebiet werden Baumaßnahmen nur genehmigt, wenn es einen Sozialplan gibt, der den sozialverträglichen Ablauf sichert. Umfangreiche Voruntersuchungen, wie sie für Milieuschutzgebiete notwendig sind, können entfallen. Während der Milieuschutz vorbeugend und langfristig für größere Stadtteile aufgestellt wird, ist die Umstrukturierungsverordnung ein Instrument auf Zeit, mit dem die Bezirke schnell auf drohende kleinräumige Verdrängungen reagieren können.
Nicht nur in Umstrukturierungsgebieten ist ein Sozialplan nach Paragraf 180 BauGB vorgesehen. Auch in Sanierungsgebieten, Entwicklungsgebieten und im Geltungsbereich eines Bebauungsplans muss ein Sozialplan aufgestellt werden, wenn Nachteile für die persönlichen Lebensumstände der Bewohner zu erwarten sind. Sozialpläne werden vom Verursacher, also in der Regel vom Eigentümer bezahlt und von einer eigentümerunabhängigen Mieterberatungsstelle zusammen mit den Betroffenen ausgearbeitet. In Sozialplänen wird meist festgeschrieben, ob der Mieter während der Bauzeit in eine Ausweichwohnung zwischenumgesetzt wird oder ob er endgültig in eine andere Wohnung wechseln möchte, welche Umzugskosten der Vermieter übernimmt, wie hoch die Entschädigungszahlungen für mietereigene Einbauten sind und vor allem auf welche Höhe die Miete am Ende steigt.
Vorkauf gegen Spekulation
Um die Ziele der Planung zu sichern, kann die Stadt bei Haus- und Grundstücksverkäufen das Vorkaufsrecht nach Paragraf 24 BauGB ausüben. Die öffentliche Hand tritt dabei in den Kaufvertrag ein und wird somit zum Eigentümer. Möglich ist das im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, in Sanierungs- und Entwicklungsgebieten oder in eigens dazu erklärten Vorkaufsgebieten. Am häufigsten wird das Vorkaufsrecht aber in Milieuschutzgebieten angewandt: Wenn dort ein Mietshaus zu einem so hohen Preis verkauft wird, dass eine Verdrängung der Mieter zu erwarten ist, können die Berliner Bezirke eingreifen. In der Regel wird das Vorkaufsrecht von ihnen zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt. Ist der ursprünglich ausgehandelte Kaufpreis stark überhöht, zahlt der Erwerber beim Vorkauf nur den amtlichen Verkehrswert. Der ursprüngliche Käufer kann den Vorkauf verhindern, indem er eine Abwendungsvereinbarung mit dem Bezirk abschließt. Darin verpflichtet er sich, auf Maßnahmen zu verzichten, die den Verbleib der Mieter gefährden könnten.
In bestimmten Fällen kann die Stadt auch über Enteignungen nach Paragraf 85 BauGB jederzeit an Grundstücke kommen. Die Enteignungsentschädigung, die an den Eigentümer gezahlt wird, bemisst sich ebenfalls am Verkehrswert.
Um zu erreichen, dass bei größeren Neubauvorhaben auch bezahlbare Mietwohnungen gebaut werden, kann die Stadt mit dem Investor einen städtebaulichen Vertrag nach Paragraf 11 BauGB abschließen. Wo für ein Bauvorhaben ein amtlicher Bebauungsplan aufgestellt wird, verpflichtet sich der Bauherr in einem solchen Vertrag, die Kosten für die Infrastruktur zu tragen, die durch den Neubau notwendig wird – also Straßen, Kanalisation, Grünanlagen, Schul- und Kitaplätze. Nach dem „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“ wird dem Investor auch auferlegt, 30 Prozent der Wohnfläche zur Sozialmiete von 6,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt an Wohnberechtigte zu vermieten. Seit der Einführung des „Berliner Modells“ im Jahr 2014 sind 49 städtebauliche Verträge über den Bau von rund 20 000 Wohnungen abgeschlossen worden, darunter sind 4000 mietpreis- und belegungsgebunden.
Die Stadt kann einen Eigentümer auch mit einem Baugebot nach Paragraf 176 BauGB dazu verpflichten, sein Grundstück bestimmungsgemäß zu bebauen. Als Grund für ein solches Gebot kann laut Gesetz ausdrücklich auch „ein dringender Wohnbedarf der Bevölkerung“ dienen. Wenn der Eigentümer angibt, dass die angeordnete Baumaßnahme ihn wirtschaftlich überfordert, kann er verlangen, dass die Stadt ihm das Grundstück abkauft. Kommt er dem Baugebot nicht nach, kann die Stadt eine Enteignung einleiten.
Das Baugebot erscheint wie gemacht für die aktuelle Berliner Situation, in der Bauspekulanten viele Wohnungsbaugrundstücke horten und auf weitere Wertsteigerungen hoffen. Schon die Androhung eines Baugebots könnte Spekulanten abschrecken. Doch das Baugebot wird in Berlin nicht angewandt. Die Bezirksverwaltungen haben keinerlei Erfahrung mit diesem Instrument, beurteilen das Verfahren aber als aufwendig und langwierig. Diese Einschätzung war allerdings auch für die anderen hier beschriebenen Instrumente gängig – bevor sie dann doch mit Erfolg praktiziert wurden.
Jens Sethmann
Soziale Wirkung über Umwege
Das Baurecht regelt soziale Fragen nur am Rande. Das Planen und Bauen soll für die betroffenen Bewohner zwar in einem verträglichen Rahmen ablaufen. Der Schutz der Bewohner ist aber kein eigentliches Ziel des Baugesetzbuches. So muss eine Verwaltung, die die Bewohnerschaft eines Viertels mit dem Milieuschutz absichern will, dies mit städtebaulichen Gründen untermauern. Mietobergrenzen, mit denen die Berliner Bezirke in Milieuschutz- und Sanierungsgebieten die Mieter erfolgreich vor Verdrängung geschützt haben, sind 2004 und 2006 höchstrichterlich untersagt worden. Verschiedene Anläufe, das Baugesetzbuch sozialer zu machen, verliefen seither im Sande. Viele Möglichkeiten, die das Gesetz teilweise schon seit Jahrzehnten bietet, werden jedoch kaum genutzt – sei es aus Unkenntnis, ideologischen Gründen, Personal- und Geldmangel oder aus Angst vor Klagen. Erst seit ein paar Jahren werden in Berlin vom Senat und den meisten Bezirken Milieuschutz, Vorkaufsrecht und städtebauliche Verträge offensiv angewendet.
js
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27.05.2019