Der Milieuschutz greift weiter um sich. Mittlerweile gibt es in sechs Berliner Bezirken 35 Milieuschutzgebiete mit zusammen rund 535.000 Einwohnern. Mit diesem Instrument können die Bezirksämter die Bewohner vor Luxusmodernisierungen und vor der Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen schützen. Allerdings müssen die Beamten im Ernstfall den Eigentümern auch die Zähne zeigen.
Der Milieuschutz hat erstmals auch innenstadtferne Wohngebiete erreicht: Das Bezirksamt Treptow-Köpenick hat im März für Ober- und Niederschöneweide entsprechende Verordnungen aufgestellt. Und auch Charlottenburg-Wilmersdorf – unter den Innenstadtbezirken der letzte Milieuschutzverweigerer – kommt in Bewegung: In der Bezirksverordnetenversammlung haben SPD, Grüne und Linke gemeinsam das Bezirksamt aufgefordert, den Milieuschutz für die Gebiete Kaiserin-Augusta-Allee und Richard-Wagner-Straße zu erlassen.
Auflagen, die die Verdrängung verhindern
In Friedrichshain-Kreuzberg, wo schon 45 Prozent der Bewohner in Gebieten mit Milieuschutz leben, hat das Bezirksamt das ganze Bezirksgebiet durchleuchten lassen. Ergebnis: Besonders in Kreuzberg ist die Verdrängungsgefahr für die Bevölkerung hoch. Daher sollten hier drei weitere Gebiete genauer untersucht werden. Im Falle einer Festlegung stünde dann beinahe ganz Kreuzberg unter Milieuschutz. Im Gebiet Ritterstraße läuft bereits eine Untersuchung. Auch in Pankow und Lichtenberg sind für mehrere Stadtviertel solche Sozialstudien in Arbeit.
Der Milieuschutz (offizielle Bezeichnung: „soziale Erhaltungsverordnung“) ist ein Instrument aus dem Baugesetzbuch, mit dem die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung geschützt werden kann. Damit Mieter nicht aus ihrem angestammten Wohngebiet verdrängt werden, können die Bezirksämter in Milieuschutzgebieten teure Modernisierungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verbieten.
Zu den Modernisierungsmaßnahmen, die nicht genehmigt werden, zählen unter anderem der Anbau von besonders teuren Aufzügen, der Einbau eines zweiten Bades, der Anbau von Zweitbalkonen und Wärmedämmungen, die über den gesetzlich geforderten Standard hinausgehen. Auch das Zusammenlegen von Wohnungen und der Abriss von Wohnraum wird unterbunden. Die allgemein übliche Wohnungsausstattung, zum Beispiel der Ersteinbau eines Bades oder einer Zentralheizung, müssen die Ämter aber immer genehmigen – auch wenn dies allein oft schon hohe Mietsteigerungen verursacht.
Ein Hauptgrund für die neue Wertschätzung des Milieuschutzes ist das Umwandlungsverbot. Seit März 2015 kann die Aufteilung von Mietshäusern in Einzeleigentum in Milieuschutzgebieten untersagt werden. Die Umwandlung in Eigentumswohnungen ist ein starker Verdrängungsmotor. Für Immobilienhändler ist das ein sehr einträgliches Geschäft, das in Berlin seit Jahren wächst. Die Umwandlungszahlen stiegen von 4500 Wohnungen im Jahr 2011 auf 17.200 im Jahr 2015.
In den Milieuschutzgebieten wurde dieser Trend hingegen umgekehrt (siehe MieterMagazin 4/2017, Seite 7: „Belegte Wirkung“). „Die Umwandlungsverordnung gibt uns die Möglichkeiten, auf Entmietungen und kostentreibende Modernisierungen Einfluss zu nehmen und so den dringend benötigten Wohnraum für die Berliner Mieterinnen und Mieter zu erhalten“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher.
Ein weiteres Argument für den Milieuschutz ist das Vorkaufsrecht: Der Bezirk selbst kann in einem Milieuschutzgebiet Wohnungen zum Verkehrswert kaufen, indem er bei einer Veräußerung anstelle des Käufers in den Kaufvertrag eintritt. Für Eigentümer ist das ein Schreckgespenst, denn der Verkehrswert ist oft deutlich niedriger als der spekulative Marktwert. Dabei geht es der öffentlichen Hand nicht in erster Linie darum, in den Besitz der Häuser zu kommen. Das Vorkaufsrecht macht aber Eigentümer sehr viel kompromissbereiter für sogenannte Abwendungsvereinbarungen: Um den Vorkauf der Kommune abzuwenden, können Eigentümer zum Beispiel dazu verpflichtet werden, auf kostspielige Modernisierungen zu verzichten und bestimmte Miethöhen nicht zu überschreiten.
Für die Bezirke ist das noch Neuland. Dem Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt ist es im Januar erstmals gelungen, dem Käufer eines Wohnhauses in der Wrangelstraße 64 auf diese Weise weitgehende soziale Zugeständnisse abzuringen. „Der Fall zeigt, dass trotz eines Verkaufs auf Basis von Marktpreisen Eigentümer, wenn sie wollen, soziale Ziele umsetzen können“, erklärt Schmidt. Tatsächlich vollzogen wurde der Vorkauf bei den Gebäuden Wrangelstraße 66, Glogauer Straße 3 und Zossener Straße 48.
Pankow auf Abwegen
Der Milieuschutz ist aber immer nur so gut wie der Durchsetzungswille der Verwaltung. So machte das Stadtplanungsamt Pankow im Fall der Immanuelkirchstraße 35 eine sehr schlechte Figur. Es setzte sich über die eigenen Genehmigungskriterien hinweg und erlaubte dem Eigentümer, kleine Wohnungen zu größeren Einheiten zusammenzulegen. Ein Mieter, der für seine 50-Quadratmeter-Wohnung 220 Euro zahlt, soll nach der Modernisierung für seine dann doppelt so große Wohnung nach der Modernisierung 2500 Euro aufbringen. Das Amt rechtfertigt die Genehmigung mit dem schlechten Zustand des Hauses: Bei den kleinen Wohnungen sei der zu genehmigende Ersteinbau von Bädern und Innentoiletten nur mit der Zusammenlegung der Wohnungen möglich, und auch bei den größeren Wohnungen müssten zur Beseitigung der schmalen „Schlauchbäder“ die Grundrisse erheblich verändert werden. Das führe dazu, dass der Bestandsschutz des Hauses entfällt und deshalb ein Neubaustandard geschaffen werden müsse. Das Ergebnis ist eine Totalsanierung des Hauses mit innenliegendem Aufzug als zweitem Rettungsweg, dessen Einbau weitere Grundrissänderungen erzwingt. Dass der Eigentümer wegen des Milieuschutzes auf den Einbau von Fußboden- und Wandheizungen verzichten muss, nützt den 14 noch verbliebenen Mietern nichts mehr.
Es ist erstaunlich, wie sehr das Stadtentwicklungsamt Pankow hier im Sinne des Eigentümers argumentiert. Gerade in Prenzlauer Berg wurde schon tausendfach vorgemacht, dass man auch marode Altbauten ohne große Grundrissänderungen sanieren und selbst in kleinsten Seitenflügelwohnungen Bäder einbauen kann. Wenn die Verwaltung den Milieuschutz als Schönwetter-Instrument begreift und nicht bereit ist, ihn durchzusetzen, sobald ein Konflikt mit dem Eigentümer droht, dann wird das Ziel des Milieuschutzes sicher verfehlt.
Jens Sethmann
Wann ist Milieuschutz möglich?
Um eine Milieuschutzverordnung zu erlassen, müssen im betreffenden Wohngebiet drei Voraussetzungen vorliegen:
- Die Bausubstanz muss noch nennenswerte Modernisierungen zulassen.
- Der Wohnungsmarkt lässt einen erhöhten Druck auf die Gebietsbewohner erwarten.
- Ein größerer Teil der Bewohnerschaft ist verdrängungsgefährdet, etwa wegen geringen Einkommens.
Ob diese Anforderungen vorliegen, wird mit Sozialstudien erforscht. Im Lichtenberger Weitlingkiez ergab die Untersuchung, dass der Aufwertungsdruck für eine Milieuschutzverordnung noch nicht ausreichend ist – anders im Kaskelkiez, der jetzt unter Erhaltungsverordnung gestellt wurde. Auch bei bestehenden Gebieten wird regelmäßig geprüft, ob der Milieuschutz noch notwendig ist. So wurden die Milieuschutzgebiete Schillerpromenade, Klausenerplatz, Stephankiez und Huttenstraße aufgehoben, weil dort kein nennenswerter Aufwertungsdruck mehr festzustellen war. Mitte hat 2008 in der Friedrich-Wilhelm-Stadt und 2016 in der Oranienburger Vorstadt den Milieuschutz abgeschafft, weil dort kaum noch eine schutzbedürftige Bewohnerschaft anzutreffen war – ein Eingeständnis des Scheiterns.
js
Dokumentation einer Fachtagung zur Ausübung des Vorkaufsrechts:
29.05.2018