In der Großstadt ist man einer permanenten Geräuschkulisse ausgesetzt, da möchte man wenigstens zuhause seine Ruhe haben. Doch was passiert? Der Nachbar oberhalb lärmt, dass die Wände wackeln und nachts kann man nicht schlafen, weil nebenan laute Musik läuft oder ständig die Türen geknallt werden. Nicht immer liegt das an rücksichtslosen Zeitgenossen. Häufig ist ein mangelnder Schallschutz bei Wänden und Decken der Grund dafür, dass selbst normale Wohngeräusche von nebenan deutlich vernehmbar sind. Betroffen sind keineswegs nur Billigwohnungen. Auch bei luxuriösen Lofts oder Dachgeschossausbauten achtet der Bauherr oft nicht auf einen ausreichenden Schallschutz.
Elke und Peter Weiß* haben früher schon im Altbau gelebt und wissen, dass Trittschall bis zu einem gewissen Maß unvermeidlich ist. „Aber was wir hier erleben, ist nicht normal: Wir hören jeden Schritt und Tritt aus der Wohnung über uns“, erzählt das Paar. Als dumpfes Geräusch, ähnlich wie Trommelschläge, beschreiben sie die Lärmbelästigung. Die Ursache liegt wohl in einem nicht fachgerecht verlegten Parkettboden in der Wohnung über ihnen. Bei Einzug war dieser Mangel natürlich nicht erkennbar. 950 Euro warm kostet die 85 Quadratmeter große, frisch sanierte Wohnung in Prenzlauer Berg – da sollte man schon eine sehr gute Wohnqualität erwarten können.
„Der Mieter einer Altbauwohnung kann zwar grundsätzlich nicht vom Vermieter den neuesten Stand der Technik verlangen“, erklärt Peter Riehl, Rechtsberater beim Berliner Mieterverein (BMV). „Aber immer, wenn bauliche Veränderungen vorgenommen werden, müssen die aktuellen Schallschutznormen beachtet werden.“ Das Problem ist, dass der Mieter hinsichtlich des Mangels beweispflichtig ist. Peter Riehl empfiehlt daher, ein Lärmprotokoll zu führen und es von Zeugen bestätigen zu lassen. Weil im Fall des Ehepaars Weiß die Hausverwaltung das Problem aber hartnäckig leugnete und sowohl eine Mietminderung als auch eine Mängelbeseitigung ablehnte, reichte das nicht aus. Die Mieter hätten auf eigene Kosten ein Sachverständigengutachten in Auftrag geben müssen. Hätte sich ein mangelhafter Trittschall bestätigt, dann hätten sie das Geld für die Expertise von ihrem Vermieter zurückverlangen können. Elke und Peter Weiß haben es vorgezogen, auszuziehen. „Mit dieser Beeinträchtigung wollen wir auf Dauer nicht leben und das Risiko, dass wir auf den Kosten für das Gutachten sitzen bleiben, war uns zu groß“. Da das Problem bereits vorhanden war, als sie dem BMV beigetreten sind, hätte zudem im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Übernahme des Prozesskostenrisikos durch die Rechtsschutzversicherung noch nicht gegriffen.
Das ruhige Umfeld macht hellhörig
Umfragen zufolge fühlen sich viele Menschen durch ihre Nachbarn sogar mehr gestört als durch Verkehrslärm. 19 Prozent beklagen sich über laute Mitmieter, heißt es etwa im „AEG Electrolux Lärmreport 2007“. Der Verkehr ist nur für 15 Prozent der Befragten das größte Problem. Was vielen nicht klar ist: Je ruhiger es draußen ist, desto eher hört man innerhalb der Wohnung auch kleine Geräusche. Besonders ältere Leute sind oft sehr geräuschempfindlich und ziehen in eine ruhige Wohngegend, dort leiden sie dann aber unter Lärm innerhalb des Hauses. Derselbe Effekt tritt auf, wo Häuser gegenüber dem Außenlärm hervorragend gedämmt sind, etwa durch Schallschutzfenster. Auch manche Wohnungsausstattung trägt zum Problem bei: Teppichböden, Gardinen und Polstermöbel dämpfen den Schall nun mal besser als karg möblierte Räume mit Parkett oder Laminat.
Beim Berliner Mieterverein sind Auseinandersetzungen wegen Nachbarschaftslärm ein Dauerbrenner. Mitunter müssen die BMV-Rechtsberater ein Mitglied auch enttäuschen, denn der Mieterverein vertritt nur Ansprüche gegenüber dem Vermieter. Eine rechtliche Vertretung gegenüber dem Nachbarn ist grundsätzlich nicht möglich.
Auch Rita Müller* musste erfahren, dass sie gegen Lärm ziemlich machtlos war. Nachdem über ihr eine neue Mieterin eingezogen war, hatte sie fast keine Nacht mehr Ruhe. „Ich schlafe nur noch mit Ohrstöpsel und setze auch tagsüber oft Kopfhörer auf – sonst würde ich durchdrehen“, berichtet sie. Bisher schlugen alle Versuche fehl, das Problem einvernehmlich zu lösen. „Von meiner Nachbarin über mir werde ich mittlerweile nur noch beschimpft, und meine Vermieterin nimmt mich nicht ernst und meint, ich soll doch ausziehen“, so Rita Müller. Kürzlich wurde die Mieterin sogar abgemahnt, weil sie aus Protest gegen die nächtliche Ruhestörung mit einem Stock an die Decke klopfte. BMV-Rechtsberaterin Dr. Jutta Reismann rät ihr dennoch von einer Mietminderung ab: „Da es mit dem Vormieter kein Problem gab, ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass Baumängel die Ursache sind“, so Dr. Reismann. Ein kostspieliges Gutachten kann sich die arbeitslose Mieterin nicht leisten. Rita Müller will es nun über eine Mediation versuchen. Beim Berliner Mieterverein hat man gute Erfahrungen mit solchen Konfliktvermittlungen gemacht (siehe auch Mediation und Konfliktberatung – Nachbarschaftslärm).
Lasche Vorschriften auch im Neubau
Rita Müller lebt übrigens in einem Haus aus dem 60er Jahren. Solche gelten als besonders hellhörig. Altbauten bieten im Prinzip einen recht guten Schallschutz, allerdings gibt es hier Unterschiede. Edle Gründerzeitbauten in besseren Wohngegenden sind schalltechnisch meist besser als einfache Arbeiterwohnungen im Seitenflügel. Zudem wurden gerade in den 70er und 80er Jahren viele großzügige Altbauwohnungen in billiger Bauweise zu kleinen Studentenwohnungen umgebaut. Nachträgliche Verbesserungen sind zwar technisch möglich. Meist werden dazu schalldämmende Vorsatzschalen an den Wänden angebracht. Doch die Kosten sind mit 50 bis 100 Euro pro Quadratmeter sehr hoch, zudem verkleinert sich das Zimmer dadurch um rund zehn Zentimeter. Einen rechtlichen Anspruch darauf haben Mieter in der Regel ohnehin nicht. Nur für den Neubau gibt es baurechtliche Vorschriften, die aber von vielen Fachleuten als zu lasch kritisiert werden (hierzu unser Interview unten auf dieser Seite).
Unter extrem dünnen Wänden leiden auch viele Plattenbaumieter. Welche Folgen das für den Hausfrieden haben kann, zeigt ein Beispiel aus Hohenschönhausen. Dort vertritt der Berliner Mieterverein Mitglieder, die sich durch tobende Kinder, lautstarke Streitereien und Geschirrgeklapper extrem gestört fühlen. Einige Bewohner hören sogar, wenn der Hund nebenan mit dem Schwanz auf den Boden klopft. Die völlig entnervten Mieter pflegen darauf zu reagieren, indem sie mit dem Besen an die Decke klopfen oder gegen die Heizung schlagen. Das wiederum bringt andere Mieter in Rage, die die Polizei holen und Anzeige erstatten. Diese gegenseitigen Belästigungen gehen nun schon seit Jahren so. „Die eigentliche Ursache liegt in der Bausubstanz“, weiß BMV-Rechtsberater Thomas Fischer-Lück. Geradezu kurios ist, dass das Problem in diesem Haus durch nachträgliche Umbauten sogar noch verstärkt wurde. So vertritt Fischer-Lück ein Paar, dessen Wohnung aus zwei zusammengelegten Wohnungen besteht. Ihr Schlafzimmer befindet sich nun genau unter dem Bad der oberen Wohnung. Weil bei den Umbaumaßnahmen offenbar die Decke nicht ausreichend gedämmt wurde, müssen die Mieter nun die Toilettengänge ihrer Nachbarn mitverfolgen. „Wir werden fast jede Nacht durch Gehgeräusche und das Rauschen der Wasserspülung aus dem Schlaf gerissen“, erzählt das Paar. Zwar wäre nach Einschätzung des Mietervereins hier eine fünfprozentige Mietminderung angemessen, doch die eigentliche Mängelbeseitigung müsste man vermutlich in einem langwierigen Verfahren durchsetzen.
Leider sind die Chancen vor Gericht selbst bei ziemlich eindeutigen Fällen nicht besonders gut. Nach der Rechtsprechung gelten „übliche Geräusche“ in einem Mehrfamilienhaus nicht als Mangel. Die Geräusche müssen außergewöhnlich laut und durch Messungen belegbar sein, wobei die Anforderungen an die Beweisführung sehr hoch sind. Daran scheiterte auch eine Mieterin, die ihren Vermieter zu einer ordnungsgemäßen Schalldämmung zwingen wollte. Durch einen mangelhaft installierten Lüftungsschacht drangen ständig Alltagsgeräusche und Gerüche in ihre Wohnung. „Ich höre praktisch alle Geräusche der Nachbarn, selbst normal laute Unterhaltungen, den Fernseher, Telefonate oder das Anknipsen des Lichtschalters“, beschreibt Susanne Meyer* ihr Lärmproblem. Trotzdem wehrte das Gericht die Klage ab und war noch nicht einmal bereit, ein Gutachten einzuholen. „Ich möchte einfach nur normal in dieser Wohnung leben, ohne jedes Gespräch meiner Nachbarn mitzuhören“, sagt die enttäuschte Mieterin. Auch sie sucht jetzt eine andere Wohnung – allerdings will sie nun sichergehen, dass ihr das gleiche nicht noch einmal passiert: „Ich kann nur jedem empfehlen, zu Wohnungsbesichtigungen einen Bausachverständigen mitzunehmen.“
Fachleute fordern Lärmgütesiegel
Weil man der Wohnung nun mal nicht ansehen kann, ob sie hellhörig ist, fordern einige Experten die Einführung eines Gütesiegels. Ähnlich wie der Energieausweis könnte ein solches Siegel Auskunft geben über die jeweiligen Schallschutzwerte.
Für die Wohnungswirtschaft ist mangelhafter Schallschutz bisher kein Thema – angesichts der vielen dadurch verursachten Umzüge und Nachbarschaftsstreitigkeiten eine erstaunliche Haltung. Investiert wird lieber in Fahrstühle, neue Balkone oder Wärmedämmung. Absurderweise verschlechtert sich nach der Wärmedämmung oftmals der Schallschutz. Akustik-Professor Wolfgang Moll hat schon erlebt, dass ganze Wohnblöcke nach der energetischen Sanierung plötzlich über Lärm klagten. Dass liegt daran, dass der Dämmstoff, der zwischen die massive Wand und den Putz kommt, wie ein Resonanzkörper wirkt. Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus Tübingen. Dort wurde vor der Sanierung zweier Gebäude aus den 50er Jahren ein Schallschutzgutachten eingeholt. Decken und Wohnungstrennwände wurden entsprechend verbessert, auch bei der Lüftung spielte der Schallschutz eine Rolle. Bei der Wärmedämmung wurde durch Auswahl der Materialien darauf geachtet, dass es keine Probleme beim Schallschutz gibt. Das Ergebnis: zufriedene Mieter, die von ihren Nachbarn im Allgemeinen nichts mitbekommen.
Beim Berliner Mieterverein fordert man mehr Eigeninitiative von den Eigentümern: „Die Vermieter müssen sich endlich mit diesem Problem auseinandersetzen, für Mieter ist das ein ganz wichtiges Kriterium für die Wohnqualität“, meint der stellvertretende BMV-Hauptgeschäftsführer Reiner Wild. Wenn ein Haus ohnehin saniert wird, müsse auch – finanziert über ein Förderprogramm – der Schallschutz verbessert werden. Im Neubau ist es übrigens durchaus möglich, Wohnungen mit hervorragender Schalldämmung zu bauen. Doch die längst überfällige Novellierung der entsprechenden Norm „DIN 4109“ lässt weiter auf sich warten. Die derzeitigen Schallschutzvorschriften sind auf dem Niveau der Nachkriegszeit – zur Wahrung der Privatsphäre und zum Schutz vor Belästigungen sind sie völlig unzureichend.
Birgit Leiß
* Namen geändert
Der Akustikingenieur Prof. Wolfgang Moll setzt sich seit langem für einen besseren baulichen Schallschutz ein. Er ist Mitglied im Normenausschuss zur DIN 4109, der sich derzeit mit höheren Schallschutzanforderungen befasst.
MieterMagazin: Die Norm, die gesetzliche Mindestanforderungen für den Neubau vorgibt, gilt als technisch veraltet und soll seit längerem überarbeitet werden. Woran liegt es, dass sich der Normenausschuss nicht auf verbesserte Schallschutzwerte einigen kann?
Moll: Der Schallschutz wird schlechterdings stiefmütterlich behandelt. Alle reden über Wärmedämmung, aber beim Schallschutz hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum etwas bewegt. Immer noch orientieren sich Bauherren selbst bei höherpreisigen Wohnungen an der überkommenen Norm. Technisch ist weitaus mehr machbar. Viele Menschen wünschen sich eine Wohnung, die ihre Privatsphäre besser wahrt und in der sie auch mal laut sein können, ohne die Nachbarn zu stören.
MieterMagazin: Scheut die Wohnungswirtschaft die Mehrkosten?
Moll: Nein, das ist nicht das Problem. Die Baukosten steigen durch entsprechende Maßnahmen nicht wesentlich. Ich bin auch davon überzeugt, dass viele Mieter und Wohnungskäufer bereit wären, für Wohnungen mit hervorragender Schalldämmung mehr zu zahlen. Insofern ist mir schleierhaft, wieso die Bau- und Wohnungswirtschaft hier nichts unternimmt. Das wäre doch auch ein Pluspunkt, mit dem man werben kann. Nein – der Bremser im Normenausschuss ist die Baubranche, insbesondere die Massivbau-Lobby. Dort befürchtet man Absatzverluste, weil mit bestimmten Baumaterialien einfach kein guter Schallschutz zu erzielen ist.
MieterMagazin: Sie werden häufig als Sachverständiger bei Gericht hinzugezogen, wenn Mieter wegen mangelhaften Schallschutzes klagen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Moll: Leider gehen viele Verfahren zuungunsten der Mieter aus, weil die Beweisführung unzureichend ist. Beispielsweise wird oft angeführt, der Schallschutz in der Wohnung sei „nicht DIN-gerecht“. Die Richter, die ebenso wie die Anwälte in der Regel keine Experten für Bauakustik sind, orientieren sich dann daran. Aber darauf kommt es gar nicht an: Die DIN-Norm gibt lediglich die nach dem öffentlichen Baurecht geltenden Mindestanforderungen vor. Ob ich einen Anspruch auf ein besseres Niveau habe, ist eine ganz andere Frage. Hier kommt es in erster Linie auf die sogenannte Soll-Beschaffenheit an. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich klargestellt, dass gerade bei höherwertigen Komfortwohnungen ein deutlich besserer Schallschutz geschuldet ist.
Das Interview führte Birgit Leiß.
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MieterMagazin 11/08
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wird stiefmütterlich behandelt“
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alle Fotos: Sabine Münch
Bevor die Nerven blank liegen, sollte man versuchen, den Konflikt mit dem Nachbarn einvernehmlich zu lösen – angestauter Ärger ist hinderlich
Ist der Streit schon eskaliert, hilft oft nur eine Konfliktlösung durch Dritte – Mediation bringt die Nachbarn manchmal wieder zusammen
Gelegentlich ist eine Mietminderung gerechtfertigt – gegen schlaflose Nächte hilft das freilich nicht
Wer den Weg über die Gerichte geht, muss sich oft auf ein langwieriges Verfahren einstellen – an die Beweisführung in Sachen Lärm werden hohe Anforderungen gestellt
Schallschutzmaßnahmen sind technisch möglich, als Mietereinbauten aber aus Kostengründen kaum sinnvoll
Wenn auch der Gang zum Gericht nicht geholfen hat, dann bleibt häufig nur die Suche nach einer neuen Wohnung – kein preiswerter Ausweg, aber gut für das Nervenkostüm
Akustikingenieur Prof. Wolfgang Moll
12.06.2019