Als universelles Menschenrecht wird die freie Meinungsäußerung im Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland garantiert. Zwar gibt es Grenzen, die auch immer wieder Gegenstand gesellschaftlicher Debatten sind. Von einer „Meinungsdiktatur“, wie sie manche „Querdenker“ in jüngster Zeit ausgemacht haben wollen, ist dieses Land aber weit entfernt. Auch wer abstrusen Theorien anhängt, darf diese auf die Straße tragen oder in Talkshows vertreten.
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In Zeiten eines breiten Mieterprotests spielt das Thema auch im Mietverhältnis eine immer größere Rolle. Das Recht, mit Flyern oder Transparenten auf eine drohende Entmietung aufmerksam zu machen oder sich in sozialen Netzwerken gegen Verdrängung zu wehren, ist grundgesetzlich geschützt und kann vom Vermieter nur unter ganz bestimmten Bedingungen eingeschränkt werden. Dennoch versuchen Vermieter immer wieder, wehrhafte Bewohnerinnen und Bewohner oder Hausgemeinschaften mundtot zu machen – zum Glück meist erfolglos.
Die klassische Bühne für Protest ist seit vielen Jahrzehnten die Hausfassade. Transparente oder Plakate in Fenster oder von Balkonen zu hängen, bringt maximale Aufmerksamkeit bei minimalem Einsatz. In aller Regel ist das zulässig, und zwar unabhängig davon, ob man seinen eigenen Fall anprangert („Vorkaufsrecht jetzt!“, „Dieses Haus gehört Spekulanten“) oder ob es allgemeine politische Statements sind („Leave no one behind“, „Kein Blut für Öl“). Sofern der Inhalt nicht strafbar ist und die Fassade nicht beschädigt oder verunstaltet wird, muss das Eigentumsrecht des Vermieters meist dahinter zurückstehen (siehe auch Vom Aufkleber bis zur Unterlassungserklärung: Das ABC der Meinungsäußerung).
„In Berlin ist die Rechtsprechung zu Transparenten zwar relativ mieterfreundlich, es gibt aber leider hin und wieder Ausreißer-Urteile“, erklärt Sebastian Bartels, stellvertretender Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Umso unverständlicher, dass ausgerechnet eine Genossenschaft ihren Mitgliedern das Recht auf freie Meinungsäußerung absprechen will. In dem aktuellen Fall hatten drei Wohngemeinschaften der Möckernkiez eG eine Abmahnung mit Androhung einer fristlosen Kündigung erhalten. Der Grund: Auf Bannern am Haus hatten sie sich mit dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ solidarisch erklärt, unter anderem mit dem Spruch „Lebenslänglich – Bezahlbarer Wohnraum ist ein Grundrecht!“ Der Vorstand sah darin eine schwerwiegende Störung des Hausfriedens und verlangte die Entfernung. „Es ist nicht Stil unserer Genossenschaft, interne Angelegenheiten nach außen zu tragen“, erklärt dazu Frank Nitzsche vom Vorstand der Möckernkiez eG. Iris Veit aus der Senioren-WG im Haus hält dagegen: „Wir sind schockiert, dass der Vorstand dieser Genossenschaft, die stolz auf ihre basisdemokratische Struktur ist, offenbar politische Zensur ausübt.” Die rund 25 mit Kündigung bedrohten Bewohnerinnen und Bewohner sahen keine andere Möglichkeit, als die Banner abzuhängen, machten jedoch eine öffentliche Protestaktion daraus.
Interne Angelegenheit oder wohnungspolitische Debatte?
Reiner Wild, Geschäftsführer des BMV, hält das Vorgehen des Vorstands für nicht nachvollziehbar und rechtlich nicht zulässig. Und: „Auch wenn es sich um ein Haus der Deutsche Wohnen handeln würde, hätten die Mieter ein Recht darauf, sich auf diese Art und Weise in die wohnungspolitische Debatte einzumischen“, sagt sein Stellvertreter Sebastian Bartels: „Die angebliche Gefahr für den Hausfrieden hätte der Vermieter konkreter darlegen müssen.“
Dass es aber immer auf den Einzelfall ankommt, zeigt der Bannerstreit in der Friedelstraße 54. Der Hauseigentümer, eine Luxemburger Immobilienfirma, wollte das Transparent eines Mieters nicht dulden und verlangte die Entfernung. Die Aufschrift lautete: „Friedel54/M99/Rigaer/Köpi/Potze/Koze – Wir bleiben alle! Soziale und widerständige Orte schaffen und erhalten.“ Das Amtsgericht Neukölln hatte bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Mieters und dem Schutz des Eigentums noch klar zugunsten des Mieters entschieden. Der Text des Plakats sei sachlich gehalten und frei von strafbaren oder sittenwidrigen Äußerungen, so das Gericht. Der Vermieter werde weder diffamiert noch beleidigt, ja er wird nicht einmal benannt (AG Neukölln vom 4. Oktober 2017 – 9 C 222/17). Eigentlich wäre der Rechtsstreit hier zu Ende gewesen. Doch die Immobilienfirma zog vor den Bundesgerichtshof. Der hob das Urteil auf, weil die mögliche Eigentumsstörung nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Der Eigentümer hatte angeführt, das Transparent würde den Wert seiner Immobilie um circa 20 Prozent mindern. Dem folgte das Landgericht (LG Berlin vom 19. Februar 2020 – 65 S 43/18).
„Es ist eine Frechheit, dass das Eigentumsrecht stärker gewichtet wurde als die Meinungsfreiheit“, empört sich der Mieter, der das Transparent nach jahrelangem Rechtsstreit abnehmen musste. Der Berliner Mieterverein spricht von einem „Ausreißer-Urteil”. Das Zünglein an der Abwägungs-Waage, so Bartels, war hier die optische Beeinträchtigung durch das große Transparent.
Währenddessen müssen sich Mieterinitiativen zunehmend mit Unterlassungsklagen herumschlagen. Gerade umstrittene Immobilienunternehmen achten ganz genau darauf, was über sie in die Öffentlichkeit getragen wird. Selbst kleinste Unrichtigkeiten können zu einer kostspieligen Unterlassungserklärung führen. Diese Erfahrung musste der Verein „Wohnen in der Torstraße 225/227 e.V.“ machen.
Eine im Februar 2019 gepostete Presseerklärung, die den skandalösen Leerstand im Haus kritisierte, wurde vom Eigentümer, der Accentro Real Estates AG, in sieben Punkten beanstandet. Da ging es um das Datum des Eigentümerwechsels, um die genaue Anzahl der leerstehenden Wohnungen und sogar um die Anzahl der Aufgänge und Gewerbeeinheiten. Auch das Foto eines Klingelschilds – auf dem die Namen unkenntlich gemacht waren – sollte nicht weiter verbreitet werden dürfen. Die Mieterinitiative hat nur für zwei Punkte eine Unterlassungserklärung abgegeben und die Texte entsprechend geändert. Daraufhin ging eine Unterlassungsklage bei ihr ein. Vor Gericht verlor die Initiative in den meisten Punkten – nicht etwa, weil sie schlecht recherchiert hätte, sondern weil sie sich teilweise auf offenbar falsche Zahlen des Bezirksamts verlassen hatte. 1285 Euro und viel Nerven habe das Ganze gekostet, heißt es beim Verein, der seitdem vorsichtiger geworden ist. Es sei schon wesentlich unverfänglicher, wenn man vage Formulierungen wie „circa 20 Wohnungen stehen leer“ benutzt, anstatt sich auf eine genaue Zahl festzulegen. Und noch einen Rat gibt man anderen Initiativen mit auf den Weg: sich sofort einen guten Medienanwalt zu nehmen.
Tatsachen: Auf die Formulierung kommt es an
Tobias Strobl* hofft noch, dass die Sache für ihn glimpflich ausgeht. Der Ex-Accentro-Mieter hatte im November 2020 über die umstrittene Immobilienfirma eine Bewertung auf einem Internetportal hinterlassen. „Es hat mich so geärgert, auf dem Portal so viel Lob über Accentro und ihren tollen Service zu lesen“, erklärt der Friedrichshainer Mieter, dem nach dem Verkauf seiner Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt worden war. „Accentro – ein Alptraum für das soziale Gefüge der Stadt“, hatte er unter einem Pseudonym geschrieben. Und weiter: „Entmietungsspezialist in Reinform, spielt Monopoly in Berliner Kiezen.“ Über die Maklerfirma „von Rüden Immobilien GmbH“, die mit Accentro zusammenarbeitet, urteilte er: „Eine absolute Horrorfirma für MieterInnen!“ Beide Firmen beschwerten sich über diese Bewertungen bei Google, dem Betreiber des Portals, und verlangten die Löschung. Begründung: Die Bewertung sei rechtswidrig und erfülle den Straftatbestand der üblen Nachrede und Verleumdung. Google wandte sich daraufhin an Tobias Strobl und bat um eine Stellungnahme. Doch der Mieter wollte nicht klein beigeben. „Ich habe lediglich den Satz, der Milieuschutz werde umgangen, nachträglich gelöscht.“ Bisher hat Tobias Strobl von Google nichts mehr gehört. Seine Rezension ist weiter online.
Gestörter Hausfriede im ehemals besetzten Haus
Mieterversammlungen im Hof oder ähnliche Protestaktionen missfallen ebenfalls vielen Vermietern. So hat Michel Le Voguer aus der Adalbertstraße 22 eine fristlose Kündigung erhalten, weil das „Bündnis Zwangsräumung verhindern” vor dem Haus eine Solidaritätsaktion mit Kaffee und Kuchen für ihn organisiert hat.
Es ist nur eine von 17 Kündigungen, die der Mieter in den letzten Jahren erhalten hat. Manchmal habe ich mehrere am Tag bekommen“, berichtet Le Voguer. Seit 13 Jahren wohnt er in dem ehemals besetzten Haus, das längst in eine Genossenschaft in Selbstverwaltung, der Interessengemeinschaft Adalbertstraße 22 eG, überführt wurde. Hintergrund ist ein Konflikt, der im Laufe der Jahre zu einer Schlammschlacht eskalierte. Michel Le Voguer kritisierte das Gebaren des Genossenschaftsvorstandes. Unter anderem geht es darum, dass mit der Untervermietung mehrerer Wohnungen Geld gemacht werde – was der Satzung widerspreche. Die Genossenschaft wiederum hat mehrfach versucht, ihr Mitglied auszuschließen und wirft ihm hoch aggressives Verhalten vor. Dass Le Voguer diese Auseinandersetzung zudem in die Öffentlichkeit trug, nahm ihm der Vorstand übel. Sogar seine Äußerungen in einem Interview für die Zeitschrift „Exberliner“ lieferten einen Kündigungsgrund. Die skurrile Begründung: Le Voguers Behauptung, die Waschmaschine im Keller werde von Fremden genutzt, sei geeignet, das Ansehen der Genossenschaft in der Öffentlichkeit erheblich herabzusetzen. „Es ist mein gutes Recht, mich zu wehren“, findet Le Voguer. Dass ihn das Landgericht Ende Januar 2021 rechtskräftig zur Räumung seiner Wohnung verurteilt hat, ist für ihn eine persönliche Katastrophe. Wegen der Vielzahl von Kündigungen und der vielen Aussagen von Hausbewohnern, die sich von ihm eingeschüchtert fühlten, sah das Gericht eine nachhaltige Störung des Hausfriedens als gegeben.
Genossenschaften scheinen besonders empfindlich zu sein, was Kritik in der Öffentlichkeit betrifft. Das musste auch Cora-Mae Gregorschewski erfahren, die – man höre und staune – wegen Blumentöpfen auf ihrem Fensterbrett mit ihrem Vermieter im Clinch lag. „Die sind laut Hausordnung erlaubt, wenn sie sicher befestigt sind“, weiß die Mieterin. Als die Verwalterin vom Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin eG (BWV) die Blumentöpfe wie angekündigt entfernen wollte, um sie kostenpflichtig zu entsorgen, entwickelte sich eine Auseinandersetzung. Der Vorwurf, der später vor Gericht entkräftet wurde: ein tätlicher Angriff der Mieterin auf die Verwalterin. Dass ihr deswegen fristlos gekündigt wurde, hat die Mieterin so empört, dass sie die Presse eingeschaltet hat – entgegen dem Rat ihrer Anwältin. Ein Artikel in der Berliner Zeitung griff den Fall auf. „Vor Gericht hat sich der BWV gleich gierig darauf gestürzt und von Vertrauensbruch und Rufschädigung gesprochen“, berichtet Cora-Mae Gregorschewski. Doch der Richter habe ihren Gang in die Öffentlichkeit als ihr legitimes Recht angesehen und ist nicht weiter darauf eingegangen, so die Mieterin. Ihr Fazit: „Ob es immer richtig ist, die Öffentlichkeit zu suchen, weiß ich nicht, aber ich würde es immer wieder tun.“ Die Kündigung wurde in allen Instanzen zurückgewiesen.
TV-Auftritt als Kündigungsgrund?
Dass Fernsehberichte über schikanöse Baumaßnahmen zu einer Räumungsklage führen, kommt normalerweise nicht vor. Doch in der Calvinstraße 21, seit nunmehr elf Jahren Großbaustelle, ist eben nichts normal. Im April 2020 wurde dem letzten verbliebenen Mieter Roman Czapara gekündigt, weil er in einem RBB-Abendschau-Beitrag und bei Spiegel-TV die unzumutbaren Bauarbeiten kritisiert hatte. Zu unterstellen, die Bauarbeiten würden bewusst eingesetzt, um in der Pandemie-Phase Druck zu machen, sei eine schwerwiegende Vertragsverletzung, findet die Terrial Stadtentwicklung GmbH. Damit werde man in ein schlechtes Licht gerückt. Es sei eine wahrheitswidrige Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, Terrial in ihrer Ehre beziehungsweise Reputation zu schädigen, heißt es in der Kündigungsbegründung. Zurechnen lassen müsse sich Roman Czapara auch die Äußerung seines Anwalts, hinter einer unterlassenen Fahrstuhlreparatur stecke eine Strategie.
Nun lassen sich sowohl der unerträgliche Lärm – dem schließlich sogar die Senatsverwaltung für Umwelt einen Riegel vorgeschoben hat – als auch die mangelnde Mitwirkung bei der Reparatur des Aufzugs beweisen. „Es geht der Eigentümerin nicht um die Erfolgsaussichten ihrer Räumungsklage – es geht ihr um Einschüchterung“, erklärt Christoph Müller, Anwalt der Familie Czapara. „Es soll der Eindruck vermittelt werden, dass jeder Versuch, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, mit dem Risiko einer Kündigung verbunden ist.“ Zusätzlich, so Müller, werde das Verfahren in die Länge gezogen, indem die Eigentümerin gerichtliche Fristen ignoriere. Auch hier scheint es Absicht zu sein, ein Höchstmaß an Verunsicherung zu erzeugen und damit psychischen Druck auszuüben.
Für Roman Czapara ist es nicht die erste Kündigung. Juristisch hat er bislang alle Auseinandersetzungen gewonnen. Nur der unerträgliche Zustand in seinem Zuhause bleibt – und dazu will er sich auch künftig nicht den Mund verbieten lassen.
Ob Transparente, Internet-Blogs oder die Medien – die Öffentlichkeit ist eine der schärfsten Waffen im Kampf gegen Verdrängung und Vermieterwillkür. Es gibt keinen Grund, sie nicht zu nutzen.
Birgit Leiß
* Name der Redaktion bekannt
„Überspitzung ist erlaubt“
MieterMagazin: Wie vorsichtig muss man sein, wenn man als Mieter oder als Mieterinitiative in die Öffentlichkeit geht?
Sebastian Bartels: Grundsätzlich sind die Grenzen hier sehr weit gefasst. Man darf – auch mit drastischen Worten – Missstände kritisieren und sich in politische Debatten einschalten. Überspitzte und polemische Kritik ist ausdrücklich erlaubt. Man darf seinen Vermieter beispielsweise unter bestimmten Umständen als faul bezeichnen oder ihm Entmietungsterror vorwerfen, beides sind Meinungsäußerungen. Auch die Parole „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ auf einem Transparent im Fenster ist selbstverständlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Mein Eindruck ist, dass die Gerichte in den letzten Jahrzehnten etwas großzügiger bei Meinungsäußerungen geworden sind, was mögliche Ehrverletzungen des Vermieters angeht. Die Bezeichnung „Spekulant“ als ehrenrührig und herabwürdigend zu werten, wie es das Amtsgericht München 1981 noch getan hat, würde heute wohl nicht mehr vorkommen.
MieterMagazin: Dennoch gibt es immer wieder Fälle, wo Transparente abgehängt werden müssen oder Mietern sogar gekündigt wird, nur weil sie sich in der Presse kritisch über ihren Vermieter geäußert haben. Wo liegen die Grenzen?
Sebastian Bartels: Im Grunde sind drei Punkte zu beachten. Erstens: keine Beleidigungen oder Schimpfwörter! Sogenannte Schmähkritik, bei der es nicht um die Sache als solches geht, ist nicht erlaubt. Ich kann daher nur davor warnen, den Vermieter als „Zuhälter“, „Hurensohn“ oder mit Wörtern aus der Fäkalsprache zu belegen. Da riskiert man schnell eine Kündigung, sogar ohne Abmahnung. Einfache Ehrverletzungen, die noch nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreiten, können eine bloße Unterlassung nach sich ziehen. Wie man sich vorstellen kann, sind die Grenzen fließend. Zweitens: Tatsachenbehauptungen müssen belegbar sein. Wer seinem Vermieter vorwirft, Schmiergelder zu kassieren, muss das auch belegen können.
Je konkreter der Vorwurf, desto gefährlicher wird es für den Mieter – das kann bis hin zur Kündigung gehen. Drittens sollte man sich davor hüten, private Vermieter namentlich zu benennen, etwa auf Facebook oder in einem Flyer. Wer nur ein paar Häuser besitzt, darf nicht in die Öffentlichkeit gezerrt werden.
MieterMagazin: Was darf man in Bewertungsportalen schreiben?
Sebastian Bartels: Hier gilt genau das gleiche: Man darf alles schreiben, was richtig ist und was die eigene Meinung ausdrückt. Den Vermieter als Spekulanten zu bezeichnen, der seine Mieter über den Tisch zieht und den Milieuschutz umgeht, ist keine Beleidigung, sondern eine subjektive Wahrnehmung und somit eine grundgesetzlich geschützte Meinungsäußerung. Den Vorwurf des Betruges – eigentlich ein strafrechtlicher Tatbestand – legen Gerichte bei Laien oft großzügig aus, da wird dann eher die umgangssprachliche Verwendung angenommen. Die Bewertung in einem Internetportal darf übrigens anonym beziehungsweise unter einem Pseudonym erfolgen, das hat der BGH 2014 entschieden.
Interview: Birgit Leiß
Vom Aufkleber bis zur Unterlassungserklärung:
Das ABC der Meinungsäußerung
Aufkleber
Die Anbringung von Aufklebern oder Plakaten an der Wohnungstür außen ist zulässig, hat das Amtsgericht Osnabrück entschieden. Auch das Anbringen von Anschlägen und Wandzeitungen im Treppenhaus sei grundsätzlich zulässig, wenn der Hausfrieden dadurch nicht gestört wird (AG Osnabrück vom 13. März 1984 – 31 C 1008/83).
Beleidigung
Einfache Ehrverletzungen sind meist kein ausreichender Grund für eine Kündigung, können aber eine Unterlassung nach sich ziehen. So befand das Amtsgericht Charlottenburg, dass die Bezeichnung eines Mitarbeiters des Vermieters als „faul“ oder „talentfreie Abrissbirne“ keine Kündigung rechtfertige. Es seien allenfalls Beleidigungen „im unteren Spektrum“, die in diesem Fall konkreten Bezug zu einem aktuellen Vorgang hatten (AG Charlottenburg vom 30. Januar 2015 – 216 C 461/14).
Die Grenzen zur unzulässigen Schmähkritik sind jedoch fließend. Sehr wohlwollend urteilte vor einigen Jahren das Landgericht Lübeck. Auf Internetseiten war das Unternehmen Prelios als „Sauverein“ bezeichnet worden, dem man das „kriminelle Handwerk“ legen müsse. Ein großes Wohnungsunternehmen müsse sich auch überspitzte und polemische Kritik gefallen lassen, vor allem, wenn sie im Kontext einer konkreten Auseinandersetzung (hier um Betriebskosten) steht, fanden die Richter. Die einstweilige Verfügung wurde zurückgewiesen (LG Lübeck vom 30. Juni 2011 – 6 O 133/11).
Bewertungsportale
Negative Erfahrungen mit dem früheren Vermieter dürfen auf Internetportalen veröffentlicht und verbreitet werden, wenn die Veröffentlichung der Wahrheit entspricht. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden (BVerfG vom 29. Juni 2016 – 1 BvR 3487/14).
Mieterversammlungen
Grundsätzlich darf man im Hof oder im Hausflur eine Mieterversammlung abhalten. Das gehört zu den Gebrauchsrechten an den Gemeinschaftsflächen. Eine Erlaubnis des Vermieters muss nicht eingeholt werden, auch nicht, wenn Presse oder Politiker eingeladen werden. Man darf auch mit einem Aushang im Treppenhaus, etwa am Schwarzen Brett, zur Mieterversammlung aufrufen, zumindest wenn es sich um einen kurzzeitigen Aushang handelt. Eine Versammlung vor dem Haus, also auf öffentlichem Straßenland, muss bei der Polizeibehörde angemeldet werden.
Namensnennung
Privatvermieter, die lediglich ein oder mehrere Häuser besitzen, dürfen auf Internetseiten, Transparenten, Pressemitteilungen und so weiter nicht namentlich genannt werden. Ein Verstoß ist kündigungsrelevant.
Schmähkritik
Sie ist eine besonders drastische Beleidigung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache selbst, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Schmähkritik ist äußerst heikel, egal ob sie im Treppenhaus, auf einem Flugblatt oder in den sozialen Netzwerken geäußert wird. So entschied das Landgericht Halle: Wenn in einem offenen Brief an den Vermieter behauptet wird, die Mitarbeiter des Vermieters kämen aus dem Rotlichtmilieu, sind die Grenzen einer scharfen, aber noch sachlichen Kritik überschritten. Daher komme eine ordentliche Kündigung in Betracht (LG Halle vom 8. Juni 2011 – 2 S 277/10).
Wesentliches Merkmal der Schmähkritik, so das Oberlandesgericht Hamm, ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Eine solche liege vor, wenn der Partei eines Mietrechtsstreits eine „verdorbene charaterliche Natur“ seitens des Mieters oder auch vom Anwalt bescheinigt wird (OLG Hamm vom 7. Mai 2015 – 5 RVs 55/15).
Wenn ein Vermieter in einem öffentlichen Beitrag in einem sozialen Netzwerk beleidigt oder mit körperlicher Gewalt bedroht wird, ist eine fristlose Kündigung berechtigt, entschied unlängst das Amtsgericht Düsseldorf (AG Düsseldorf vom 11. Juli 2019 – 27 C 346/18). Auch wenn in diesem Fall offen blieb, ob mit „Huso“ nun „Hurensohn“ oder „Hundesohn“ gemeint war – beides sei eine Verletzung der Menschenwürde, befand das Gericht.
Tatsachenbehauptung
Wie der Name schon sagt, geht es hier nicht um eine Meinungsäußerung, sondern um Fakten. Und die müssen stimmen. Wer auf Facebook schreibt, es stünden im Haus zehn Wohnungen leer oder wer im Interview mit der Presse behauptet, der Vermieter hinterziehe Steuern, muss das auch beweisen können.
Transparente an der Hausfassade
Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Aushängen an der Fassade sind:
1. Keine Beschädigung oder Verunstaltung der Fassade (keine feste Verankerung, keine flächendeckende Verhängung der gesamten Fassade).
2. Kein unzulässiger Inhalt (keine Ehrverletzung des Vermieters, keine Namensnennung von Privatvermietern). Die Auseinandersetzung muss sachlich sein – hier gibt es natürlich einen großen Spielraum. Zudem muss es um ein politisch-soziales Thema gehen. Liebesgedichte oder der Hinweis „Auto zu verkaufen“ sind an der Fassade nicht zulässig.
3. Keine Störung des Hausfriedens (keine Stimmungsmache gegen Mitmieter, etwa Geflüchtete oder Gewerbemieter). Befindet sich zum Beispiel ein Steakhaus im Erdgeschoss, könnten Parolen gegen den Fleischkonsum problematisch sein.
Unterlassungserklärung
Wenn ein Vermieter bestimmte Äußerungen im Rahmen einer Veröffentlichung nicht hinnehmen will, etwa auf der Facebook-Seite einer Mieterinitiative, kann er über seinen Anwalt eine Unterlassungsaufforderung verschicken. Der Adressat hat dann zwei Möglichkeiten: Wenn tatsächlich etwas unrichtig ist, kann er dies korrigieren und eine Unterlassungserklärung abgeben. Das Problem: Es entstehen dann auf jeden Fall Kosten, nämlich für den Anwalt. Und das kann schnell in den vierstelligen Bereich gehen. Ist man sich ganz sicher, nichts falsch gemacht zu haben, braucht man gar nicht zu reagieren und kann abwarten, ob eine Unterlassungsklage eingereicht wird. Vorher sollte man sich unbedingt beraten lassen, um das Prozessrisiko abzuklären.
bl
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27.03.2021