Hat man eine Erdgeschosswohnung zu vergeben und fragt im Bekanntenkreis nach, wer sie als Nachmieter haben will, ist die Reaktion fast immer einhellig: „Erdgeschoss? Bloß nicht!“ Dabei ist die Wohnung richtig gut geschnitten, aber noch nicht einmal ansehen will man sie sich. Die Nachfrage nach ebenerdigen Wohnungen scheint gering, die Nachteile für Mieter liegen ja auch auf der Hand. So bestimmen heruntergelassene Rollläden, die vor Jahren zum letzten Mal hochgezogen wurden, vielerorts in Berlin das Straßenbild. Vergilbte Schilder verkünden: „Zu vermieten“, aber sie hängen schon lange da. Selbst in angesagten Stadtvierteln fällt der Leerstand von Parterrewohnungen auf. Doch es ist manchmal nur eine Frage der Perspektive, um auch die Vorteile des Erdgeschosses zu entdecken.
Wenn Klaus Rygowski* um fünf von der Arbeit kommt, öffnet er, wenn es draußen einigermaßen warm ist, als erstes sein Wohnzimmerfenster und lehnt sich raus. „Einfach das Treiben auf der Straße beobachten, eine bessere Entspannung kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er. Außerdem kann er gleichzeitig seine zwei Kinder beobachten, die auf dem breiten Gehweg spielen. „Ich brauche den Kontakt nach draußen“, erklärt er. „In der Wohnung zurückgezogen zu sitzen und nur die Hausfassade von gegenüber zu sehen, das ist doch langweilig.“ Seine Wohnung liegt in der Bornemannstraße in Wedding, die nicht viel befahren ist. Die Nachteile einer Parterrewohnung, die so viele Wohnungssuchende abschrecken, zählen für ihn nicht.
Wohnen im Erdgeschoss scheint auf den ersten Blick unbeliebt zu sein. Weil unter der Wohnung nicht geheizt wird, muss man in der Regel die Thermostate weiter aufdrehen oder die Öfen stärker befeuern, um es warm zu bekommen. Oft sind die Fußböden nicht gedämmt. Nur wenn man großes Glück hat, wohnt man direkt über dem Heizungskeller und spart sogar Heizenergie. Meist bereitet die Heizkostenabrechnung dem Erdgeschossmieter aber eher Kummer.
In eng bebauten Stadtvierteln ist es im Erdgeschoss auch dunkler als in höheren Stockwerken. Während in der dritten Etage die Sonnenstrahlen zum Fenster hereinscheinen und die Wände aufheizen, muss man im untersten Geschoss nicht nur schon nachmittags das Licht einschalten, sondern oft auch noch gegen die Kälte anheizen.
Störend ist auch die eingeschränkte Privatsphäre. Wer möchte schon, dass jeder von der Straße aus in sein Schlafzimmer sehen kann? Auch wenn die Wohnräume zum Hof oder Garten hinaus liegen, wo selten Leute vorbeigehen, ist es den meisten Menschen ein Bedürfnis, ihre Wohnräume vor Einblicken zu schützen. Und selbst wenn niemand neugierig ins Zimmer sieht, erzeugen vor allem in belebten Straßen die Vorbeigehenden eine ständige Unruhe in der Erdgeschosswohnung.
Die Gefahr von Einbrüchen ist im Erdgeschoss auch höher. Bei Abwesenheit muss man die Fenster immer ganz schließen, selbst im heißesten Sommer. Man sollte auch damit rechnen, dass die Blumenkästen vom Fensterbrett geklaut werden, sofern man sie nicht fest angeschraubt hat. Wenn man direkt an der Straße wohnt, ist man zu ebener Erde dem Straßenlärm und den Abgasen der Autos auch unmittelbarer ausgesetzt.
Das alles sind starke Argumente dafür, sich lieber eine Wohnung weiter oben zu suchen. Aber es gibt eine Reihe von Vorteilen, die das Wohnen im Erdgeschoss attraktiv machen.
Kurze Wege, keine Treppen
Das größte Plus ist natürlich das fehlende Treppensteigen. Wer schon einmal in einem Haus ohne Aufzug bei einem Umzug die Waschmaschine und eine umfangreiche Büchersammlung in den vierten Stock hinaufgetragen hat, weiß das Erdgeschoss – zumindest in diesem Augenblick – sehr zu schätzen. Aber auch im Alltag ist es schon beschwerlich genug, Treppen zu steigen, wenn man den Wocheneinkauf oder Getränkekästen hinauftragen muss. Besonders für ältere oder gebrechliche Menschen wird das zunehmend ein Problem. Erdgeschosswohnungen sind dagegen meist über nur wenige Stufen oder ganz ebenerdig zu erreichen. Sie sind damit schon fast von selbst altersgerechte Wohnungen, und man kann sie oft mit wenig Aufwand barrierefrei oder behindertengerecht ausbauen. Angesichts des demografischen Wandels der Gesellschaft dürfte die Nachfrage nach solchen Wohnungen in den kommenden Jahren steigen.
Barrierefreiheit war auch der Hauptgrund für Familie Maschke* aus Weißensee, ins Erdgeschoss zu ziehen. Maschkes haben ein behindertes Kind, das auf den Rollstuhl angewiesen ist. „Wir sind im selben Haus geblieben und runter ins Erdgeschoss gezogen“, erzählt Constanze Maschke. Die dortigen Gewerberäume standen zuvor leer. Die Familie hat die Räume behindertengerecht ausgebaut. Nach hinten führt eine Rampe in den großen Garten, der allen Mietern des Hauses offen steht. Den Gartenzugang sehen Maschkes als das größte Plus ihrer Wohnung. „Wir wohnen vor allem nach hinten“, sagt Constanze Maschke. Die vorderen Räume nutzt die Mieterin teilgewerblich als Atelier. Lauter ist es ihrer Beobachtung zufolge im Erdgeschoss nicht. „An trüben Tagen ist es höchstens mal eine Stunde länger dunkel“, so Constanze Maschke. „Wir sind hier sehr zufrieden.“
Mit einem direkten Zugang zu einer Terrasse, zu einem Garten oder auch nur zum Hof steigt die Wertschätzung für das Erdgeschoss schlagartig. Wenn vor dem Fenster kein betonierter Innenhof liegt, in dem Autos parken und die Mülltonnen vor sich hinstinken, sondern ein kleiner Bereich abgetrennt ist, in dem der Mieter Blumen pflanzen, einen Liegestuhl aufstellen oder auch mal einen Grillabend feiern kann, wird das Erdgeschoss zu etwas Besonderem. Dafür finden sich sogar in den eng bebauten Altbauvierteln Nischen.
Jacqueline Kemnitz* in der Friedrichshainer Löwestraße hat einen großen Vorgarten. An der Stelle, wo der Krieg in die Reihe der Vorderhäuser eine Lücke gerissen hat, wohnt sie im Erdgeschoss eines freistehenden Hinterhauses. „Das Leben spielt sich hier im Garten ab“, sagt Jacqueline Kemnitz. Von der Terrasse aus hat sie die Kinder immer im Blick. Hier kann sie auch die Wäsche aufhängen und hat trotzdem mehr Platz als in den oberen Geschossen auf dem Balkon. „Außerdem fällt die ganze Schlepperei weg“, ergänzt sie. Abgesehen von der höheren Einbruchsgefahr sieht sie keine Nachteile. „Das ist eine Geschmacksfrage. Wir haben die Natur direkt vor der Tür. Das ist ein bisschen so, als wenn man auf dem Land leben würde.“
Gefragter Gartenzugang
Wohnungen im Erdgeschoss mit eigenem Gartenzugang sind denn auch sehr gefragt. So sind in einer Wohnanlage aus den 50er Jahren in der Kösliner Straße in Wedding die Parterrewohnungen die beliebtesten, weil sie auf der Südseite eine Terrasse mit anschließendem Garten haben. Wer hier wohnt, braucht keine Datsche und keine Kleingartenparzelle. Auch in der um 1960 gebauten Siedlung Schillerhöhe an der Grenze von Wedding zu Reinickendorf stehen die Erdgeschosswohnungen mit angeschlossenen Mietergärten in der Gunst der Bewohner ganz oben, wie die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau berichtet. Und: im vielbeachteten Stadtumbau-Projekt „Ahrensfelder Terrassen“ hat die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn in den Jahren 2004/2005 diese Vorbilder imitiert: Beim Rückbau der elfgeschossigen Plattenbauten in Marzahn-Nord auf drei bis sechs Geschosse hat man den 41 Hochparterrewohnungen Mietergärten zugeordnet. Von den Wohnungen hat man einen direkten Zugang zu den 100 bis 275 Quadratmeter großen mietereigenen Grünbereichen. Bei der Neuvermietung nach dem Umbau konnten für diese Wohnungen ohne Probleme Mieter gefunden werden. Aber auch schon vor dem Stadtumbauprogramm wurden viele Erdgeschosswohnungen im Plattenbau bei der Sanierung mit einem Zugang zum Garten versehen. Vor allem im Ortsteil Hellersdorf kann man an vielen Gebäuderückseiten die Treppen sehen, die vom Parterrebalkon in die parzellierte Grünidylle führen.
Wer gern mitten im Leben ist, der ist im Erdgeschoss gut aufgehoben. „Das ist schön, wenn man alle kommen und gehen sieht“, sagt Ellen van de Bosch*, die mit ihrer Familie in der Friedrichshainer Bänschstraße lebt. „Dann winken wir den Nachbarn zu oder machen mal das Fenster auf und quatschen ein bisschen.“ Sie ist in die Erdgeschosswohnung im Vorderhaus gezogen, um sich mit ihren Zwillingen das Treppensteigen zu ersparen. Außerdem hatte sie beim Einzug gehofft, dass die Kinder auf dem Hof spielen könnten. Doch der ist mittlerweile mit Fahrrädern und anderem völlig zugestellt. „Schade, dass man den Hof nicht benutzen kann“, bedauert Ellen van de Bosch. Sie hat auch zur Straße hin keine Gardinen in den Fenstern hängen, so dass jeder in die Wohnung sehen könnte. „Das stört mich überhaupt nicht. Ich komme aus den Niederlanden, da hat man das immer offen. Die Leute hier kennen das nicht. Manche bleiben sogar stehen und gucken rein“, wundert sie sich. „In den Niederlanden macht man das nicht. Das ist eine andere Mentalität.“
Aber auch für weniger offenherzige Gemüter bietet das Erdgeschoss Vorzüge, wie der Student Holger Tomsen*, der in einem Kreuzberger Altbau parterre wohnt, berichtet: „Wenn man im Treppenhaus keinen treffen will, ist man im Erdgeschoss natürlich schneller aus der Haustüre und im Freien. Manche lieben es ja, einen in einen längeren Treppenhausplausch zu verwickeln.“ Ein weiterer Vorteil: „Wenn es klingelt, kann ich gleich aus dem Küchenfenster sehen, wer draußen steht. Ich muss nicht erst über die Sprechanlage fragen, wer da ist, sondern rühre mich einfach nicht und kann die Tür zulassen. Bei unangenehmen Sachen ganz praktisch.“
Manfred Krugs Karriere begann in der Ladenwohnung
In Zeiten der Wohnungsnot lag es auf der Hand, die vielen leer stehenden Läden in Wohnungen umzuwandeln: In beiden Teilen der Stadt wurden Ladentüren zugemauert, Schaufenster rausgerissen und durch kleinere Fenster ersetzt. Ob der ehemalige Laden problemlos zu beheizen war oder ob jemals die Sonne reinschien, war zweitrangig, Hauptsache man hatte ein halbwegs akzeptables Dach über dem Kopf. So berichtet zum Beispiel der Schauspieler Manfred Krug in dem Buch „Durchgangszimmer Prenzlauer Berg“, froh gewesen zu sein, dass ihm Mitte der 60er Jahre in der Cantianstraße ein leer stehender Laden zugewiesen wurde, den er sich zusammen mit dem Autor Jurek Becker zur Wohnung ausbauen durfte. Vielerorts dominierten aber noch lange Zeit schief herabhängende Rollläden und abblätternde Ladeninschriften wie „Molkerei“, „Holz und Kohlen“ oder „Schnelle Besohlanstalt“ das Straßenbild.
In wenigen Fällen nahmen sich Künstler ganz bewusst solcher Räume an und nutzten sie als Atelierwohnungen. Zwar bieten leer stehende Fabriketagen für solche Zwecke mehr Platz, doch in den Läden gibt es die Möglichkeit, seine Bilder, Skulpturen oder auch Performances gleich im Schaufenster zu zeigen und so vielleicht sogar den einen oder anderen Laufkunden für die Kunst zu interessieren.
Heute gibt es gegenläufige Tendenzen im Umgang mit den Erdgeschossen. In boomenden Stadtvierteln, vor allem in Mitte und Prenzlauer Berg, gab es nach der Wende einen großen Umnutzungsdruck hin zum Gewerbe. Viele Wohnungen wie die von Manfred Krug, die vom Laden zur Wohnung umgebaut worden waren, sind nun Kneipen, Anwaltskanzleien oder Arztpraxen, weil sich die Hauseigentümer von gewerblichen Mietern höhere Einnahmen versprechen. Da das aber nur in prominenten Lagen funktioniert, stehen in den Nebenstraßen viele Gewerberäume leer. Vermieter warten offensichtlich lieber jahrelang darauf, dass doch noch eine angesagte Szene-Cocktailbar einzieht, als ihre Mieterwartungen nach unten zu korrigieren.
Die Erdgeschosse bestimmen das Straßenbild
Nicht zuletzt tragen leer stehende Erdgeschosse zur Anonymität im Straßenraum bei. Weil Fußgänger vor allem das wahrnehmen, was sich auf Augenhöhe abspielt, entsteht bei ungenutzten Erdgeschossen leicht der Eindruck, dass die ganze Straße verlassen und verwahrlost sei. Quartiersmanagements und einige Wohnungsbaugesellschaften haben daher Aktionen ins Leben gerufen, mit denen die Erdgeschosszonen neu belebt werden sollen. Was die Wiedernutzung von Läden angeht, kann man auf einige Erfolge zurückblicken: Vor allem junge Existenzgründer und Künstler haben sich in den zeitweilig subventionierten Läden eingerichtet und sich zum Teil auch so weit gefestigt, dass sie die Ladenmieten nunmehr auch ohne Unterstützung tragen können. Für Erdgeschosswohnungen gab es solche Aktionen nicht.
Wer eine billige Wohnung sucht und auf eine optimale Besonnung weniger Wert legt, kann in den Altbauvierteln relativ leicht fündig werden. Viele Vermieter bieten ihre Erdgeschosswohnungen, für die eine geringe Nachfrage herrscht, zu günstigen Mietpreisen an.
Neuerdings werden schlecht vermietbare Erdgeschosse – zum Beispiel in dunklen Seitenflügeln – auch zu Abstellräumen für Fahrräder und Kinderwagen umgebaut. Schließlich ist in den Treppenhäusern meist wenig Platz, und wer lässt seinen Drahtesel schon gern draußen im Regen stehen? Die Alternativen – rauf in die Wohnung oder runter in den Keller – sind mit anstrengendem Treppensteigen verbunden. Ein ebenerdiger Abstellraum ist eine bequeme Lösung.
Zwar gibt es Bauträger, die bei Sanierung von Wohnhäusern auch in den Erdgeschossen ganz bewusst Wohnungen einplanen, weil sich derzeit in Berlin für gut sanierte Parterreräume leichter Wohnungsmieter finden lassen als gewerbliche Nutzer. Doch die Regel ist diese Sicht (noch) nicht.
Jens Sethmann
* Namen von der Redaktion geändert
Die Nutzung des Erdgeschosses hat sich im Berliner Haus ständig gewandelt – wie auch seine Wertschätzung. Vor der Industrialisierung war das Wohnen zu ebener Erde noch mit Prestige verbunden. Es stand dafür, dass man der Eigentümer des Grund und Bodens ist, auf dem das Haus steht. Das hob den Besitzbürger vom besitzlosen Mieter ab, der selbstverständlich „oben“ oder „unter dem Dach“ wohnen musste. Als die Häuser mehrgeschossig wurden, wandelte sich der erste Stock zur repräsentativen „Bel Etage„, in der der Eigentümer hochherrschaftlich residierte. Die Erdgeschosse wurden zunehmend gewerblich genutzt.
In der Gründerzeit wurden die Nutzungen in den Gebäudekomplexen meist durchmischt. In den Vorderhäusern, Seiten- und Querflügeln waren Wohnungen untergebracht, während im Hinterhof oft Gewerbegebäude standen. Von einfachen Wagenschuppen oder Kuhställen bis zu mehrstöckigen Möbelfabriken oder Brauereien war hier alles zu finden. In den Erdgeschossen der Vorderhäuser spiegelte sich diese Nutzungsmischung im Kleinen wider. Hier wurden oft Ladenwohnungen eingerichtet, in denen der Geschäftsinhaber arbeitete und wohnte. Vorn gab es einen kleinen Laden, in dem Milch, Seife oder Tabak verkauft wurde, hinten hatte der Ladeninhaber seine Wohnräume. Selbst in den Nebenstraßen gab es viele kleine Läden für den täglichen Bedarf. Ohne Kühlschrank musste die Hausfrau schließlich jeden Tag frische Lebensmittel einkaufen, lange Wege sollte sie dafür nicht zurücklegen.
Im Laufe der Zeit wurden aus vielen Ladenwohnungen jedoch reine Läden, etwa weil die Inhaber eine passendere Wohnung gefunden hatten oder weil die hinteren Räume als Lager benötigt wurden. Ab den 60er Jahren begann mit dem Siegeszug der Selbstbedienungsgeschäfte auch der Niedergang der kleinen Tante-Emma-Läden. Die neuen Supermärkte brauchten viel mehr Fläche als in den Erdgeschossen der Altbauten zur Verfügung stand. So nahm vor allem in den Nebenstraßen der Ladenleerstand immer weiter zu. Bis heute haben sich oft nur noch Zeitungsläden und Bäckereien gehalten – Geschäfte, in denen Dinge angeboten werden, die man nach wie vor täglich kauft.
Wurde neu gebaut, hat man seit den 20er Jahren unter dem Eindruck der Konflikte zwischen dem Wohnen und dem Gewerbe – Lärm, Abgase, Gestank – die Nutzungen strikt getrennt. Seither gibt es beinahe reine Wohnsiedlungen, in denen auch in den Erdgeschossen fast durchgängig Wohnungen untergebracht wurden. Man hielt an diesem Prinzip bis in die 80er Jahre hinein fest, sei es, weil die Förderrichtlinien des Sozialen Wohnungsbaus gar nichts anderes zuließen, sei es, weil es anders im industrialisierten Massenwohnungsbau technisch zu aufwändig und zu teuer gewesen wäre. Die Wohnungen im Erdgeschoss oder im Hochparterre waren daher genau dieselben wie im vierten oder elften Stock. Erst als im Zuge der Postmoderne eine Rückbesinnung auf Urbanität einsetzte, begann man wieder „nicht störendes Gewerbe“ in Wohnungsneubauten einzugliedern. In vielen Gebäuden der Internationalen Bauausstellung 1987 finden sich deshalb wieder Läden im Erdgeschoss. Auch im Plattenbau der DDR baute man an ausgewählten Stellen sogenannte „Funktionsunterlagerungen“: Geschäfte, Gaststätten, Seniorenklubs oder ähnliche Einrichtungen – im Erdgeschoss.
js
Der Berliner Mietspiegel setzt im Erdgeschoss geringere Miethöhen an als in den oberen Stockwerken: Mit dem „Lage im Erdgeschoss“ werden die Mietspiegelwerte um 16 Cent pro Quadratmeter abgesenkt. Im Erdgeschoss sind also meist nur geringere Mieterhöhungen durchsetzbar.
Gärten gelten bei Mehrfamilienhäusern in der Regel als nicht mitvermietet. Ohne vertragliche Regelung hat der Erdgeschossmieter kein alleiniges Nutzungsrecht. Wenn einem Mieter ein Garten zur alleinigen Nutzung überlassen wird, hat der Mieter in der Regel auch die Pflicht, den Garten zu pflegen. Über die Art der Pflege und die Gestaltung der Grünanlage kann der Vermieter in einem solchen Fall keine Vorschriften machen. Ist ein Garten mitvermietet, kann der Vermieter diesen nicht separat kündigen. Bei der Wohnflächenberechnung spielt der Garten keine Rolle. Terrassen werden hingegen wie Balkone in der Regel zu einem Viertel mitberechnet und schlagen auch bei Mieterhöhungen zu Buche.
Die Ausstattung der Fenster mit Rollläden ist bei Neubauten im Erdgeschoss vorgeschrieben. Sie dienen nicht nur als Vorkehrung gegen ungebetene Einblicke, sondern vor allem auch als Schutz vor Einbrüchen. Im Altbau haben Mieter allerdings keinen Anspruch darauf, dass der Vermieter Rollläden nachrüstet. Der Vermieter muss aber in der Regel zustimmen, wenn der Mieter auf eigene Kosten Rollläden anbringen will.
Unter Umständen muss auch ein Erdgeschossmieter Betriebskosten für einen Aufzug tragen. Der Bundesgerichtshof hält es für zumutbar, dass ein Mieter auch für einen Aufzug zahlt, den er nie nutzt (BGH – VIII ZR 103/06, Mietrechtliche Mitteilungen 2006, Seite 369). Im verhandelten Fall hatte ein Erdgeschossmieter vom vorhandenen Aufzug keinen konkreten Nutzen, weil er weder einen Keller noch einen Dachraum hatte, den er mit dem Lift hätte erreichen können. Aus Gründen der Praktikabilität, so das Urteil, dürfe der Vermieter die Kosten einheitlich nach Wohnfläche auf alle Mieter umlegen.
Ein Gewohnheitsrecht, wonach der Erdgeschossmieter im Winter auf dem Gehweg vor dem Haus den Schnee räumen muss, gibt es übrigens nicht. Soll ein Hausbewohner diese Pflicht übernehmen, muss es vertraglich vereinbart sein.
js
MieterMagazin 4/07
Lesen Sie auch
zu diesem Thema:
Handel und Wandel
zu ebener Erde
Recht und Gesetz
im Erdgeschoss
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Fenster im Erdgeschoss
Im Alter und bei körperlicher Eingeschränktheit bringt das Wohnen im Parterre manche Erleichterung
Die Natur vor der Haustür: Jaqueline Kemnitz mit Tom in der Friedrichshainer Löwestraße
In der Kösliner Straße in Wedding sind die Erdgeschosswohnungen die beliebtesten
Gute Zugänglichkeit ist für Constanze Maschke und ihre behinderte Tochter das wichtigste Argument für das Erdgeschoss
Beim Bau der „Ahrensfelder Terrassen“ wurden den Hochparterrewohnungen Mietergärten zugeordnet
Laden? Wohnung? Atelier? Mancher legt Wert auf eine Kombi-Nutzung
Fenster aufmachen und quatschen: Ellen van de Bosch aus der Friedrichshainer Bänschstraße schätzt das „Offene“ am Erdgeschoss
Wenig Nachfrage, günstige Preise: In den Altbauvierteln stehen noch viele Parterre- und Hochparterrewohnungen leer
07.10.2018