Der neue Berliner Senat setzt zur Lösung der Wohnungskrise noch stärker auf den Neubau und hat das Ziel der bis 2030 zu bauenden Wohnungen von 130.000 auf 200.000 nach oben geschraubt. Davon sollen 30.000 Wohnungen durch Nachverdichtung, Aufstockung, Umbau und „Nutzungsstapelung“ entstehen. Der Druck auf Baulücken, verwilderte Restflächen und grüne Höfe wird also höher werden. Aber es sind genau solche Grünflächen, die mit zu einem erträglichen Stadtklima beitragen. Immer mehr Anwohnerinnen und Anwohner setzen sich deshalb dafür ein, dass Flächen als Freiräume erhalten bleiben. Doch sie werden allzu oft nicht ernst genommen.
Die Nachverdichtung hat Vorteile. Zum einen ist die benötigte Infrastruktur schon vorhanden. Während Neubaugebiete am Stadtrand erst mit neuen Straßen, öffentlichen Nahverkehrslinien, Wasser-, Abwasser-, Strom-, Gas- und Telekommunikationsleitungen erschlossen werden müssen, kann man in bebauten Gebieten die vorhandenen Systeme und die bestehenden Leitungen nutzen. Zum anderen verhindert die Nachverdichtung auch die Zersiedelung des Umlandes und wachsende Verkehrsströme, denn neue Bewohner in der Innenstadt haben in der Regel kürzere Arbeitswege und können meist auf ein Auto verzichten.
Die Verdichtung der Stadt hat aber auch Nachteile. Die mit ihr verbundene Erhöhung der Einwohnerzahl auf gleichbleibender Fläche lässt die vorhandenen Kitas und Schulen, Spielplätze und Parks, Buslinien und Straßen an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit geraten. Besonders wenn Grünflächen für die Bebauung in Anspruch genommen werden, wird deren kühlender Einfluss auf das Stadtklima zunichte gemacht.
Am 11. Januar rückte in der Friedrichshainer Pintschstraße 10 ein Baumfälltrupp an. Über drei Jahre lang hatten Nachbarinnen und Nachbarn für den Erhalt der Grünoase gekämpft. Ihre Protestaktionen blieben letztlich erfolglos, 13 große Bäume fielen der Säge zum Opfer. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft WBM will hier ein Vorderhaus und einen Seitenflügel mit 29 Mietwohnungen errichten. „Wir können jetzt nur noch ohnmächtig dabei zusehen, wie der Hof Stück für Stück verschwindet“, erklärt die enttäuschte Anwohnerinitiative „Erhaltet unsere Grünen Friedrichshainer Innenhöfe“. Das Stadtgrün dürfe nicht „dauerhaft einer Wohnungsbaupolitik weichen, welche soziale und ökologische Kriterien als vernachlässigbar ansieht“, so die Anwohner.
In Pankow hat ein Umdenken schon eingesetzt. Die Initiative „Grüner Kiez Pankow“ konnte zwei Wohnhöfe in der Nähe des Schlossparks zumindest vorläufig vor einer Bebauung schützen. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gesobau wollte zwischen Ossietzkystraße und Kavalierstraße in einer Wohnsiedlung aus den 50er Jahren rund 100 Wohnungen bauen. Dafür sollten zwei grüne Innenhöfe, ein Spielplatz und 170 Bäume weichen. Die Anwohner liefen Sturm gegen die Pläne. Letztlich erfolgreich war die Einschaltung der Bezirksverordnetenversammlung: Pankow hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen und sich damit verpflichtet, „Lösungen zu bevorzugen, die sich positiv auf Klima, Umwelt und Artenschutz auswirken“. Nun handelt das Bezirksamt entsprechend: Nach der im Mai 2021 beschlossenen Aufstellung eines Bebauungsplans werden die vorhandenen Grünflächen mit ihren Bäumen und Sträuchern von einer Bebauung verschont. „Behutsame Nachverdichtungen sollen möglich bleiben und verträglich gesteuert werden“, heißt es dazu. Die Gesobau wird nun also die Bebauungsplanung des Bezirks abwarten und ihr Vorhaben voraussichtlich deutlich zusammenstreichen müssen – wenn sie es überhaupt weiterverfolgt.
Inzwischen haben sich 27 Nachbarschaftsinitiativen zum Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung (BBNS) zusammengeschlossen. Sie haben bei der Nachverdichtung ein großes Ungleichgewicht zwischen Ost- und West-Berlin festgestellt. Das BBNS zählt aktuell 117 Nachverdichtungsvorhaben – davon 77 im Ostteil und 40 im Westteil der Stadt. Diese Schieflage hat planungsrechtliche Gründe, denn im Osten sind Bauvorhaben einfacher und schneller durchsetzbar.
Da die Ostbezirke seit 1990 nur wenige Bebauungspläne aufgestellt haben, gelten große Teile dieses Stadtgebiets als „unbeplanter Innenbereich“. Daher wird über die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach dem Paragrafen 34 des Baugesetzbuches (BauGB) entschieden. Der besagt: Wenn sich das Vorhaben „nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt“, wird die Baugenehmigung erteilt. Zwischen viergeschossige Wohnhäuser kann man also ohne Weiteres noch ein zusätzliches viergeschossiges Wohnhaus bauen. Eine Bürgerbeteiligung ist bei solcherart genehmigten Bauten nicht vorgesehen.
Ungleichgewicht zwischen Ost und West
Im Westteil Berlins gibt es hingegen keinen „unbeplanten Innenbereich“. Wo nach 1960 kein Bebauungsplan aufgestellt wurde, gilt der vorher für das ganze West-Berliner Stadtgebiet festgelegte Baunutzungsplan. Dessen Festlegungen sind aber hoffnungslos veraltet. Die vorgeschriebene Baudichte ist so gering, dass Nachverdichtungen in fast allen Fällen unzulässig wären. Wollte man dort eine Baulücke schließen, müsste das bezirkliche Stadtplanungsamt in vielen Fällen die Genehmigungsfähigkeit erst herstellen, indem es den alten Baunutzungsplan mit einem neuen Bebauungsplan überschreibt. Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans ist eine Bürgerbeteiligung gesetzlich vorgeschrieben. Insgesamt dauert es in Berlin zweieinhalb Jahre oder länger, bis ein Bebauungsplan fertig ist. Eine einfache Genehmigung nach Paragraf 34 ist dagegen für Bauherren und für die Verwaltung viel bequemer. 67 der 77 Nachverdichtungsvorhaben in Ost-Berlin finden ohne Bebauungsplanverfahren statt.
Wie geringschätzig Anwohneranliegen behandelt werden, musste die Bürgerinitiative Plänterwald erfahren. Sie protestiert beharrlich gegen ein Nachverdichtungsvorhaben der landeseigenen Gesellschaft Stadt und Land und hatte sich schon über einen Teilerfolg gefreut. Ihr größtes Ärgernis, zwei Gebäuderiegel im grünen Innenhof Am Plänterwald/Orionstraße, schien im September vom Tisch, nachdem der Bezirk Treptow-Köpenick mit dem Wohnungsunternehmen in einem „Letter of Intent“ einen Grundstückstausch vereinbart hatte. Statt des Wohnhofs sollte eine bezirkseigene Wiese an der Galileistraße bebaut werden. Im Gegenzug wird der Innenhof als öffentliche Grünfläche ausgewiesen. Die landeseigene Stadt und Land hat dennoch eine Baugenehmigung für ihr ursprüngliches Vorhaben beantragt.
Kompromiss wieder vom Tisch
Am 3. Februar erteilte der Bezirk die Baugenehmigung. Nur wenige Stunden später teilte das Wohnungsunternehmen dem Bezirksamt mit, dass man die Situation nunmehr neu bewerte und keinen Grundstückstausch mehr anstrebe. „Ich bin schwer enttäuscht von dem Vorgehen der landeseigenen Wohnungsgesellschaft“, so die Reaktion von Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD). „Wir hatten gemeinsam die Grundlagen für einen Kompromiss zwischen den Belangen der Anwohner und dem dringend benötigten mietpreisgebundenen Neubau gelegt. Und wir hätten die grüne Umgebung aufwerten können.“ Durch den Grundstückstausch wäre dem Wohnungsunternehmen sogar der Bau von 108 statt 95 Wohnungen möglich gewesen. Treptow-Köpenicks Stadtentwicklungsstadträtin Claudia Leistner (Grüne) ist erbost über den Vertrauensbruch: „Das ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die seit Monaten versuchen, einen nachhaltigen Kompromiss zu finden – in aller erster Linie natürlich für die engagierten Anwohnerinnen und Anwohner, die direkt betroffen sind!“ Der Bezirk will sich weiter dafür einsetzen, dass die Baugenehmigung im Innenhof nicht zum Zuge kommt, doch Rechtsmittel dafür hat er keine. Die Bürgerinitiative fühlt sich belogen. „Mitbestimmung? Fehlanzeige. Klimaschutz? Fehlanzeige. Wir lassen uns das nicht gefallen“, twittert sie und fordert von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: „Holen Sie die Stadt und Land zurück an den Verhandlungstisch!“
Bezirk will keine Resterampe sein
Ärger droht dem städtischen Wohnungsunternehmen Stadt und Land auch in Hellersdorf. An zwei Standorten in der Bodo-Uhse-Straße und der Lily-Braun-Straße will sie insgesamt vier Gebäude mit rund 300 Wohnungen bauen. Dort stehen heute Garagen. Doch anstatt nur diese schon versiegelten Flächen entlang der Straßen zu bebauen, sollen die sechsstöckigen Neubauten weit in die von Plattenbauten umstandenen Grünanlagen hineinragen. „Das würde der Großsiedlung ihren typischen Charakter rauben“, protestiert die Initiative Grüne Höfe Hellersdorf Süd, die zudem nicht die „Resterampe für unerledigte Probleme der Landesregierung“ sein möchte. Sie hat rund 1700 Unterschriften gegen die Zerstörung der grünen Freiräume gesammelt und damit durchaus Eindruck in der Bezirksverordnetenversammlung gemacht. Die CDU-Fraktion beantragte, ein Artenschutzgutachten für die Baufelder durchzuführen und die Baugenehmigung so lange zurückzustellen. Auch der Hellersdorfer Linken-Abgeordnete Kristian Ronneburg lehnt die dichte Bebauung der Innenhöfe ab: „Nicht jede Fläche, die rechtlich gesehen bebaut werden kann, sollte auch bebaut werden“, ist seine Meinung. „Daher müssen auf Landesebene die Weichen dafür gestellt werden, dass Wohnungsbau endlich auch im Westen und in der Mitte Berlins stattfindet.“
Die Westbezirke Reinickendorf, Spandau und Steglitz-Zehlendorf haben sich bisher tatsächlich bei der Umsetzung des ehrgeizigen Berliner Wohnungsbauprogramms sehr zurückgehalten. Doch rabiate Nachverdichtungen gibt es gelegentlich auch im Westteil Berlins. So möchte die städtische Gewobag nah hinter den Häusern Westendallee 77-91 in Charlottenburg fünf viergeschossige Gebäude mit 184 Wohnungen errichten. „Dies führt zum Wegfall eines Großteils der Mietergärten sowie zur massiven Verschattung der Wohnungen und der verbleibenden Grünflächen“, kritisiert die Bürgerinitiative Grüne Westendallee. „Gleichzeitig werden hunderte Anwohner ihrer Privatsphäre beraubt.“ Zudem befürchtet die Initiative, dass sich die Parkplatzsituation in ihrer Straße deutlich verschärfen würde. Ihr Ziel: ein Tausch des Grundstücks mit einer Fläche, die besser bebaubar ist.
Innerhalb des S-Bahnrings läuft die Nachverdichtungswelle schon seit mehreren Jahren. Schon 2016 mahnte das MieterMagazin angesichts planloser Nachverdichtungen in der Innenstadt: „Bitte mehr Augenmaß!“ Fehlende Planung und laxe Bauvorschriften ließen enge und lichtlose Hinterhofwohnanlagen wie im 19. Jahrhundert entstehen. „Berlin braucht dringend ein Konzept, das sinnvolle Nachverdichtungen voranbringt und gleichzeitig rücksichtslose Bauvorhaben verhindert“, schloss der MieterMagazin-Beitrag im September 2016. Ein solches Konzept fehlt immer noch. Mittlerweile wurde in den Gründerzeitvierteln in fast jede Baulücke ein Sechs- bis Siebengeschosser gequetscht. Wie viele Wohnungen an welchen Stellen durch Nachverdichtungen entstehen, wird in der Neubaustatistik nicht gesondert erfasst. Dadurch wird es am Ende auch schwierig zu ermitteln, ob das Ziel von 30.000 Nachverdichtungs-Wohnungen erreicht ist.
Anwohnern, die sich gegen Bauprojekte in ihrer Nachbarschaft wehren, wird oft vorgeworfen, ihnen wäre die Wohnungsnot der anderen egal und sie würden aus rein egoistischen Motiven den grünen Garten vor der Tür, die schöne Aussicht aus dem Fenster und den freien Parkplatz vor dem Haus behalten wollen. Das trifft manchmal auch zu, doch das Klimaschutz-Argument lässt sich nicht so einfach vom Tisch wischen. Spätestens seit der Berliner Senat im Dezember 2019 die Klimanotlage ausgerufen hat, darf man auch von der Stadtplanung erwarten, dass der Schutz des Weltklimas und des urbanen Mikroklimas nicht mehr missachtet wird.
Immer wieder stehen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften im Zentrum der Kritik. Das ist nicht verwunderlich, denn sie schultern einen Großteil der Berliner Wohnungsneubau-Vorhaben. Nach dem Koalitionsvertrag des neuen Senats sollen die sechs Unternehmen allein 35.000 Wohnungen in den kommenden fünf Jahren errichten. Da neues Bauland teuer ist, nutzen sie erst einmal eigene Flächenreserven, die sie nicht ankaufen müssen. So geraten in den Siedlungen der landeseigenen Unternehmen Brachflächen, Garagen und Parkplätze, aber auch Innenhöfe und Grünanlagen ins Visier, während besser geeignete private Flächen – etwa übergroße Supermarkt-Parkplätze – unangetastet bleiben.
Ebenfalls in der Kritik: die unzureichende Bürgerbeteiligung. Die städtischen Wohnungsunternehmen haben sich 2018 „Leitlinien für Partizipation im Wohnungsbau“ gegeben. Darin heißt es: „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wollen bei Bauprojekten eine Vorbildfunktion für eine umfassende Beteiligung übernehmen.“ Meist dürfen die Anwohnerinnen und Anwohner über die Gestaltung des geplanten Gebäudes und seines Umfeldes mitreden. Aber ob überhaupt gebaut werden soll, steht nicht zur Debatte. Auch wenn das mehr Beteiligung ist als bei privaten Bauherren – die sich in der Regel gar nicht reinreden lassen – ist diese Form der Beteiligung eher frustrierend. Zudem klappt auch das nicht immer. So erfuhren die Anwohner in der Lichtenberger Atzpodienstraße letztes Jahr erst durch eine kurzfristige Ankündigung von Baumfällarbeiten, dass das Wohnungsunternehmen Howoge in ihrem Karree bauen will. Die Howoge und der Bezirksbaustadtrat zeigten sich im Nachhinein schuldbewusst, doch das Porzellan war zerschlagen und die Bäume geschreddert.
Kooperation ist das neue Motto
„Kooperation statt Konfrontation“ soll das neue Motto in der Wohnungspolitik sein, wie die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) immer wieder betont. Wenn der Spruch nicht nur der Diskreditierung eines ungeliebten Volksentscheid-Ergebnisses dienen soll, muss er für alle gelten. Wohnungsunternehmen dürfen sich bei ihren Nachverdichtungsvorhaben nicht nach Gutsherrenart über die Anwohner und die Bezirkspolitik hinwegsetzen, sondern müssen gemeinsam mit ihnen eine stadtverträgliche Lösung suchen.
Jens Sethmann
BUND: Mehr Schutz von Bäumen und Stadtgrün dort, wo gebaut wird
Anlässlich der Baumfällung in der Pintschstraße erneuert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) seine Forderung nach einer Reform der Berliner Baumschutzverordnung. „De facto gibt es zurzeit keinen Schutz von Bäumen bei Bauvorhaben“, sagt BUND-Baumschutzexperte Christian Hönig. Die Naturschutzbehörden müssen Fällgenehmigungen erteilen, wenn ein Bauvorhaben grundsätzlich zulässig ist. So werden oft schon Bäume gefällt, obwohl es noch keine Baugenehmigung gibt. Der Wert der Bäume für die Stadtnatur, die Artenvielfalt und das Stadtklima wird dabei nicht berücksichtigt.
„Die Bäume in Berlin sind ein wichtiges Schutzgut, mit dem bei Bauvorhaben sehr fahrlässig umgegangen wird“, berichtet Christian Hönig. „Vielen Bauherren sind sie eigentlich nur im Weg.“ Ohne Bäume wird die Artenvielfalt immer kleiner und das Stadtklima unerträglich. Der zunehmende Klimawandel setzt mit Hitze und Trockenheit den Bäumen heute schon stark zu. Immer mehr Bäume sterben ab, besonders die Neupflanzungen haben es schwer. „In den letzten Jahren ist die Situation immer schlimmer geworden“, stellt Hönig fest. „Eigentlich müsste die Stadt jetzt um jeden vitalen Baum kämpfen.“
Der BUND fordert seit Langem, die Lücken der Baumschutzverordnung zu schließen. Die Verordnung müsse auch für bisher nicht geschützte Baumarten gelten. Zum Schutz von in den Bäumen lebenden Tieren müssten Höhlenbäume und Artenvorkommen in der Stadt regelmäßig erfasst werden. Bei Bauvorhaben sollte zudem über einen Biotopflächenfaktor sichergestellt werden, dass die Grünversorgung der Nachbarschaft ausreichend ist. „Wenn gebaut werden soll, dann braucht es einen tragbaren und zuverlässigen Schutz von Bäumen und Stadtgrün“, so Hönig.
js
Mietminderung bei Nachverdichtung in der Nachbarschaft?
Wird in der Nachbarschaft eine Baulücke geschlossen, geht das meist mit ein bis zwei Jahren Lärm einher. Die Möglichkeiten, wegen dieser Beeinträchtigungen die Miete zu mindern, hat die Rechtsprechung in den letzten Jahren verschlechtert. Grundsätzlich berechtigt Lärm von einer benachbarten Baustelle auch dann zu einer Mietminderung, wenn der eigene Vermieter nichts gegen die Belästigung tun kann. Allerdings: Wenn bei Vertragsabschluss für den Mieter schon ersichtlich war, dass in der Nachbarschaft Bauarbeiten zu erwarten sind, kann er die Miete nicht mindern. Ob eine künftige Bautätigkeit für den Mieter erkennbar war, hängt im Einzelfall stark von den örtlichen Gegebenheiten ab (BGH vom 21. Februar 2012 – VIII ZR 22/11). Das Landgericht Berlin meinte sogar, dass in der Innenstadt jederzeit mit Baumaßnahmen zu rechnen sei und deshalb jede Mietminderung ausscheide (LG Berlin vom 15. April 2016 – 63 S 223/15).
Der Bundesgerichtshof hat nun klargestellt: Eine Mietminderung kommt dann in Frage, wenn die Beeinträchtigungen so schwerwiegend sind, dass der Vermieter Anspruch auf eine Ausgleichszahlung vom Baulärm-Verursacher hat. Der Vermieter kann nämlich unter bestimmten Umständen vom Bauherrn einen Ausgleich für seine geminderten Mieteinnahmen verlangen. Wenn der Eigentümer die Nachbarbaustelle jedoch entschädigungslos hinnehmen muss, dürfen auch die Mieter ihre Zahlungen nicht mindern (BGH vom 29. April 2020 – VIII ZR 31/18). Das sind erschwerte Bedingungen für eine Minderung der Miete. Daher sollte man eine solche nicht ohne vorherige Rechtsberatung vornehmen.
Wenn ein Lückenschluss auf dem Nachbargrundstück die eigene Wohnung verdunkelt oder der Gartenhof bebaut wurde, ist das zwar ärgerlich, kann aber dazu führen, dass künftige Mieterhöhungen geringer ausfallen. Ermittelt man mit dem Berliner Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete, die für Mieterhöhungen das Höchstmaß ist, könnte das wohnwertmindernde Merkmal „Lage im Seitenflügel oder Quergebäude bei verdichteter Bebauung“ dazu führen, dass der Mieterhöhungsspielraum geringer ausfällt – meist aber nur ein schwacher Trost.
js
www.nachhaltigestadtentwicklung.berlin
28.02.2022