Außenklo und Ofenheizung galten lange Zeit als die beiden charakteristischen Hauptmerkmale für die rückständigen Wohnverhältnisse in Berlin. Fünf Jahrzehnte Stadterneuerung haben das Klo auf halber Treppe mittlerweile fast zum Verschwinden gebracht. Zu seiner Entstehungszeit war das Podest-WC aber in puncto Wohnhygiene durchaus ein Fortschritt.
Eine Wasserspülung rauscht, die Tür geht auf und ein älterer Herr tritt ins Treppenhaus, die Jogginghose noch in den Kniekehlen und eine Rolle Klopapier unterm Arm. So begann die erste Folge der 1993 ausgestrahlten satirischen Fernsehserie „Motzki“. Besser hätte man die gewollt klischeemäßige Figur Friedhelm Motzki nicht einführen können: Der Weddinger Dauermeckerer mit grober Berliner Schnauze hatte natürlich ein Außenklo.
Das Außenklo auf halber Treppe gab es auch in anderen Städten, doch nirgends war es so sehr der Regelfall wie im Berliner Mietshaus. Rechtliche Grundlage war die Bau-Polizei-Ordnung von 1887, die erstmals regelte, dass Toilettenräume ein Fenster nach draußen haben müssen. „Bedürfnißanstalten und Badestuben“, heißt es dort in Paragraph 37, dürfen nur in Räumen angelegt werden, die Licht und Luft unmittelbar von der Straße, einem Hof oder einem nach oben offenen Lichtschacht erhalten.
Der Toilettenraum musste also an eine Außenwand gelegt werden. Bei den üblichen Wohnungsgrundrissen in den Berliner Mietshäusern ließ sich solch ein Raum nur schwerlich einfügen. Es entstanden lange schmale Räume, die vom Korridor zur Hof-Außenmauer reichten. Weil man damals Badeeinrichtungen in herkömmlichen Wohnhäusern noch für entbehrlichen Luxus hielt, stand in diesen etwa 1,50 mal 4,00 Meter großen schlauchartigen Räumen nichts weiter als die Kloschüssel – eine große Platzverschwendung, besonders in den Augen der Bauspekulanten, die beim Bau der Mietskasernen versuchten, das letzte aus dem erlaubten Bauvolumen herauszupressen.
Man kam daher auf die Idee, die Abtrittanlagen in den Zwischenpodesten der Treppenhäuser anzulegen. So lagen sie direkt an der Außenwand und brauchten viel weniger Platz: statt etwa sechs Quadratmeter für ein in der Wohnung gelegenes WC genügt ein einziger Quadratmeter. In der Bau-Polizei-Ordnung war nirgends davon die Rede, dass die Toiletten direkt von den Wohnungen erschlossen werden mussten. Auch war nicht verlangt, dass jede Wohnung ihr eigenes Klo haben musste. So gab es in der Regel ein Podest-WC für alle Wohnungen auf einer Etage. Meist teilten sich also zwei Mietparteien eine Toilette, vor allem in den Hinterhäusern aber auch oft drei oder sogar vier.
Eine Verfeinerung des Prinzips war eine Kombination aus Podest-Klo und Schlauch-Klo: Man baute die Außen-WC-Räume weniger hoch und ermöglichte dadurch, in der angrenzenden Wohnung ein Innen-WC einzurichten, weil Platz für einen rund einen Meter hohen Luftkanal zur Außenwand gelassen wurde. Das Fenster wurde dann mit einer eingehakten langen Stange geöffnet und geschlossen.
In früheren Zeiten gab es in den Wohnhäusern gar keine Toiletten – weder in den einfachen Häusern, noch in den Wohnungen der oberen Stände. Aborte waren in aller Regel auf dem Hof untergebracht. Hier befanden sich über Senkgruben einfache Bretterverschläge, die in den damaligen Bauzeichnungen verschämt „Appartements“ genannt wurden. Damit man nicht nachts raus musste, waren sogenannte Nachtstühle in Gebrauch.
Abort und Brunnen im Hof
Die Hofaborte waren hygienisch problematisch, weil in vielen Höfen auch die Brunnen angelegt waren, von denen die Hausbewohner ihr Trinkwasser holten. Die Bauordnung von 1641 bestimmte, dass Sekrete auf den Höfen vom Brunnen des Nachbarn 20 Werkschuhe (rund sechs Meter) entfernt bleiben mussten, um eine Verjauchung des Grundwassers zu verhindern. Typhus- und Choleraerkrankungen waren dennoch sehr häufig.
Einige Häuser, die an der Spree oder an einem Kanal standen, hatten an der Wasserseite eine Galerie mit Aborthäuschen, von denen die Fäkalien direkt ins Wasser fielen. Auf den Galerien wurde aber auch die Wäsche im Flusswasser gewaschen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden solche Anlagen verboten.
In der engen Berliner Altstadt besaßen viele Häuser gar keine Aborte, etwa die um 1700 errichtete Waisenstraße 8/9, die mit ihrer Rückseite unmittelbar an die alte Stadtmauer gebaut wurde und somit keinen Hof hatte. Im Jahr 1884 wurden die Zustände in diesem Haus beim Polizeipräsidium angezeigt: „Es ist kein Abort im ganzen Hause, der Nachtstuhl steht bei der Kochmaschine, einige Mieter haben sogar den bloßen Eimer im Kochgelaß zu stehen, sodaß die Übelgerüche sich in dem ganzen Hause verbreiten, sogar einige Mieter den Unrat im Keller schütten.“ Die Polizei untersuchte daraufhin die Situation, sah aber keinen Grund zum Eingreifen: „Aborte hat das Haus allerdings nicht, weil demselben der Hof fehlt, jeder Mieter besitzt aber seinen Nachtstuhl mit gutschließendem Deckel, deren Eimer wöchentlich zweimal abgeholt und sonst gründlich desinfiziert werden, sodaß auch kein übler Geruch im Hause wahrzunehmen ist.“ Toiletten wurden hier folglich erst 1913 eingebaut.
Als in den 1870er und 1880er Jahren immer mehr Haushalte an die Wasserversorgung angeschlossen wurden, begann sich das Klosett mit Wasserspülung durchzusetzen. Zunächst wurden die WCs meist in einem kleinen, von der Küche abgetrennten Raum untergebracht. Hier brauchte man zum einen keine langen Rohrleitungen zu den Hauptsträngen, zum anderen konnte man den Küchenkamin zur Entlüftung nutzen. Eine andere Lüftungsmöglichkeit gab es in diesen sogenannten Schrank-Klos nicht. Die Bau-Polizei-Ordnung von 1887 war da schon ein großer Fortschritt. Jedoch galt sie nur für Neubauten. Die hygienisch fragwürdigen Zustände hielten in den älteren Stadtteilen noch lange an.
Schlüssel steckt: Klo besetzt
Die Berliner haben sich gut mit dem Außenklo arrangiert. Ein außen steckender Schlüssel bedeutete „besetzt“. Bei Frost erwiesen sich Grablichter als ein geeignetes Mittel, um die Wasserrohre vor dem Einfrieren zu bewahren.
In West-Berlin gab es im Jahr 1968 noch genau 110.785 Wohnungen ohne eigene Toilette. Das entsprach etwa 12 Prozent des damaligen Wohnungsbestandes und rund 24 Prozent der vor 1918 gebauten Wohnungen. Im Ostteil der Stadt waren solche Größenordnungen bis nach der Wende normal. Allein in Prenzlauer Berg wurden 1991 bei der Voruntersuchung zur Stadterneuerung 11 584 Wohnungen mit Außenklo gezählt. In den späteren Sanierungsgebieten Helmholtzplatz und Teutoburger Platz machten die Außenklo-Wohnungen einen Anteil von jeweils 31 Prozent aus. In der Rosenthaler Vorstadt in Mitte lag der Anteil sogar bei 33 Prozent.
In den meisten Fällen wurden die Podestklos bei der Modernisierung komplett abgerissen, die schmalen Fenster und die Türen im Treppenhaus zugemauert. Die angrenzenden Wohnungen konnten dadurch entsprechend vergrößert werden. Manchmal wurden aber auch nur die Toilettenbecken und die Wasserleitungen herausgerissen und das ehemalige Klo als Abstellraum beibehalten. An den schießschartenförmigen Fenstern kann man vielerorts immer noch die Lage der früheren Außenklos von außen erkennen.
Wie viele Wohnungen heute noch ein Außen-WC haben, kann man nur mutmaßen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat dazu keine Zahlen. Auch bei den Abschlussuntersuchungen der Sanierungsgebiete werden die Außen-WC-Wohnungen mangels Masse nicht mehr gesondert gezählt. „Das sind nur noch ganz vereinzelte Häuser, das spielt sich im Promillebereich ab“, schätzt Werner Oehlert von der Mieterberatungsgesellschaft ASUM für die drei aufgehobenen Friedrichshainer Sanierungsgebiete. Seit 2003 sind die wenigen Wohnungen ohne Innen-WC auch ausdrücklich nicht mehr vom Berliner Mietspiegel erfasst.
Für nostalgische Erzählungen liefert das Außenklo ausreichend Material. Nicht wenige Mieter würden aus Kostengründen lieber ihr Außen-WC behalten als eine höhere Miete für einen Badeinbau zahlen. Aber kaum jemand trauert dem Gang zum Klo durchs Treppenhaus ernsthaft nach.
Jens Sethmann
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MieterMagazin 10/12
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js
24.12.2018