Viele Treppenhäuser in Berliner Altbauten verbergen unter einer Schicht aus Ruß oder Farbe aufwendige Malereien und Ornamente. In einem Neuköllner Mietshaus wurden sie akribisch freigelegt und aufgearbeitet.
„Jetzt, wo das Treppenhaus so schön geworden ist, fühle ich mich hier endlich wieder richtig wohl“, sagt Gabi W. Sie wohnt in einem Haus in Nord-Neukölln, das in den letzten Jahren immer mehr zu verkommen drohte. Baujahr: Vermutlich irgendwann zwischen 1895 und 1905. Der erste Eindruck, wenn man den Hausflur betrat, war düster im wahrsten Sinne des Wortes. Denn der Ruß aus den Gaslampen, die hier früher hingen, hatte sich an den Wänden festgesetzt und Staub war in dieser fettigen Schicht haften geblieben. Weiter oben haben die Wände dagegen sehr viel weniger gelitten. „Durch den Eingangsbereich sind natürlich besonders viele Menschen gekommen“, sagt Jörn Bornemann, der das Treppenhaus derzeit restauriert. Dieser „Durchgangsverkehr“ nach oben und zum Hinterhof und auch die meist offen stehende Türen haben dem Treppenhaus vor allem im unteren Bereich arg zugesetzt.
Versteckte Schätze
Bornemann ist Malermeister mit den Schwerpunkten Dekoration und historische Technik. „Bei meinen vielen Renovierungsarbeiten habe ich oft entdeckt, welche kunsthistorischen Schätze hinter einer Farbschicht stecken können“, erzählt er. Über das Renovieren kam er dann zum Restaurieren. Vor rund drei Jahren hat Bornemann sich damit selbstständig gemacht. Seit einigen Monaten arbeitet er das Neuköllner Treppenhaus wieder auf.
Heute würde oft einfach mit der Malerrolle oder Spritztechniken gearbeitet, bedauert er. „Dadurch geht viel handwerkliche Individualität verloren.“ Dabei hat Bornemann selbst am Anfang gedacht, er könne etwa bei den Blumenmustern an den Treppenhauswänden in dem Neuköllner Haus mit fertigen Schablonen arbeiten. „Der Maler, der hier ursprünglich am Werk war, hatte jedoch einen sehr feinen und eigenen Pinselstrich.“ Deshalb hat Bornemann sich entschieden, eine eigene Lochschablone herzustellen: Dafür hat er zunächst Pergamentpapier über die Ornamente geklebt und das Motiv mit einer feinen Nadel nachgestochen. Mit einem Kohlesäckchen hat er dann das Lochmuster durchgepaust. „Das hinterlässt eine Vorlage, nach der ich die Ornamente malen kann“, erklärt er. „Und diese sind dadurch viel näher am Original als bei Verwendung einer fertigen Schablone.“ Zum Beispiel würden kleine Unregelmäßigkeiten sichtbar, die nach seiner Einschätzung in dem Haus von Anfang an gewollt waren. „Handwerker haben früher gerne solche Unregelmäßigkeiten eingebaut, um nicht anmaßend gegenüber Gott zu erscheinen.“ So wurde zum Beispiel auf exakte Spiegelungen verzichtet oder, wie hier, mit versetzten Höhen gearbeitet.
Das Neuköllner Treppenhaus ist üppig verziert, Decken und Wände mit Blumenmustern und -girlanden geschmückt. Neoklassizistische Anklänge zeigen sich im Stuck des Eingangsbereichs, neogotische in den Verzierungen des Treppengeländers. Sie finden sich neben Jugendstilelementen wie frei geschwungenen Linien und floralen Ornamenten an der Decke. Das erste Obergeschoss schmückt das Gemälde einer jungen Frau mit leichtem Kleid, die ihre Hand nach einem Rosenstrauch über sich ausstreckt. Dahinter ist das Meer zu sehen: „… ein ebenfalls im Jugendstil übliches Reisemotiv: die Sehnsucht nach Italien.“ (Bornemann)
Dieser Mix verschiedener Stile ist typisch für die Zeit des späten Historismus, in der das Haus wie so viele andere in Berlin gebaut wurde. Durch die dunkelbraune Rußschicht ließ sich das alles nur noch erahnen. Dem genannten Gemälde im ersten Stock fehlte irgendwann die komplette untere Hälfte, die Farbe war abgebröckelt, die Wände beschmiert.
Schließlich hat ein Wiener Eigentümer das Haus gekauft und lässt nun das Treppenhaus wieder herstellen. Umlegen auf die Mieter kann er die Kosten dafür nicht. Seine Beweggründe, es dennoch nicht einfach zu überstreichen, sondern lieber in eine aufwendige und entsprechend teurere Restaurierung zu investieren, seien auch seinem Bezug zur Historie geschuldet, sagt er. Der Eindruck eines Gebäudes sei ein Wert und dazu zähle schließlich auch seine Geschichte. „Davon abgesehen hilft ein schönes Treppenhaus natürlich auch bei der Vermietung“, so Ingo K. von der zuständigen Hausverwaltung.
Sichtfenster in die Geschichte
Doch nicht immer lässt sich die ursprüngliche Substanz rekonstruieren. „Beim Reinigen verwischt und zerstört man teilweise mehr als man rettet“, weiß Bornemann. Die Decke vor und unter dem Treppenaufgang war vom Anstrich her dagegen recht gut erhalten, obwohl hier noch ein alter Wasserschaden sichtbar war. Bornemann brauchte die Decke im Wesentlichen nur trocken zu reinigen und dann mit einer Leimfarbe zu streichen und die Blumenornamente zu retuschieren. An anderen Stellen hat er sich für eine andere Lösung entschieden und eine Makulatur geklebt. Das ist eine leimartige Unterschicht, die sich überstreichen lässt. „Der große Vorteil dieser Makulaturschicht ist, dass spätere Generationen sie einfach wieder abziehen und mit einem dann vermutlich sehr viel weiter entwickelten Verfahren das Original rekonstruieren können.“ Gerade die Pilaster unmittelbar an der Eingangstür waren so stark beschädigt, dass Bornemann sie nur derart abkleben und überstreichen konnte. Weiter ins Treppenhaus hinein ließ sich die rot-marmorierte Oberfläche der Wandpfeiler dagegen freilegen und Bornemann musste höchstens kleine Stellen überstreichen. Wie „Sichtfenster in die Geschichte“ wirken die Pilaster jetzt: „Der Betrachter kann daran erkennen, wie sie früher überall ausgesehen haben.“ Auf die Makulaturschicht an den Wänden hat Bornemann mit Hilfe seiner selbst gefertigten Lochschablone auch die alten Blumenornamente gemalt, die sich durchs ganze Treppenhaus ziehen. Die einzelnen Blüten hat er mit Ölfarbe und einem groben Pinsel nachgemalt, damit die Blütenstruktur besser herauskommt. „So hatte es auch der ursprüngliche Maler gemacht, die Struktur konnte man immer noch fühlen.“
„Wo gibt es das denn heute noch, dass jemand fein säuberlich mit dem Pinsel in einem Treppenhaus arbeitet!“, staunt Mieterin W. Das Treppenhaus ist ein großes Thema in der Hausgemeinschaft. Seit im Haus gesäubert, abgeklebt und gepinselt wurde, stehen die Mieter hier öfter zusammen, unterhalten sich begeistert darüber und achten viel mehr als vorher darauf, dass kein Müll auf dem Boden liegt. „Das ist ein ganz typischer Effekt“, hat Bornemann auch in anderen Häusern erlebt. „Die Mieter fühlen sich wohler im Haus, setzen sich mit der Restaurierung auseinander, identifizieren sich mit dem Gebäude und bleiben dann auch gerne dort wohnen.“ Dass ein Haus in einem eher armen Bezirk wie Neukölln derart „zurechtgemacht“ wird, sei hingegen selten. Doch sei erstmal ein Treppenhaus restauriert, ziehe das oft Nachahmer in der Umgebung nach sich.
Kristina Simons
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MieterMagazin 1+2/10
Nach aufwendigen Restaurierungsarbeiten präsentiert sich dieses Treppenhaus in Nord-Neukölln wie vor hundert Jahren
Fotos: Sabine Münch
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Der Adel lässt grüßen
In vielen Berliner Häusern, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden, wurden die Stile vergangener Epochen von Romantik, Gotik, Renaissance, Barock bis Rokoko imitiert und speziell im ausklingenden Historismus, der sogenannten „Gründerzeit“, wild kombiniert. Der Jugendstil orientierte sich als erster Architekturstil nicht an historischen Vorbildern. Es ist auch eine Zeit, in der Berlin in Folge der industriellen Revolution enorm gewachsen ist. Viele waren verunsichert durch die rasanten Veränderungen und besannen sich deshalb auf Altbewährtes. Die Industrialisierung bot andererseits ganz neue technische Möglichkeiten, Ornamente oder Stuck maschinell und damit in großer Menge herzustellen. Das im 19. Jahrhundert erstarkte Bürgertum orientierte sich gerne an der Ästhetik des Adels und das ist in vielen Gründerzeitbauten heute immer noch – oder inzwischen wieder – zu erkennen. Dekorations- und Gemäldemaler erlebten geradezu einen Boom und wirkten nicht nur in Villen, sondern auch in einfachen Mietshäusern. Ein Blick in Kreuzberger, Friedrichshainer, Weddinger oder eben Neuköllner Treppenhäuser legt noch heute Zeugnis davon ab.
ks
01.11.2016