Wenn man jemanden besuchen will, muss man bei ihm klingeln – ein auf den ersten Blick alltäglicher und profaner Vorgang, über den man kaum nachdenkt. Mit unterschiedlichen Techniken wurde im Laufe der Zeit das Problem gelöst, dass sich jemand von außen im Inneren des Hauses bemerkbar machen muss, damit ihm Einlass gewährt wird. Immer jedoch ging es darum, ein laut hörbares akustisches Signal zu erzeugen. Das reine Anklopfen mit den Fingerknöcheln reichte für eine weitläufigere Wohnstätte nicht mehr aus. Und in Mietshäusern musste später zusätzlich die Entfernung zwischen Haustür und Wohnungstür überbrückt werden.
Die ersten bekannten mechanischen „Türklingeln“ stammen aus dem Hochmittelalter und sind sogenannte Türklopfer. Ein außen angebrachter Türbeschlag mit einem beweglichen hammerförmigen Schlegel schlug dabei auf einem darunter befestigten Knopf auf, um zum Öffnen aufzufordern. Meist bestanden der Klopfer sowie die Fläche, auf die der Schlegel herabfiel, aus Bronze oder Eisen, so dass durch Gewicht und Resonanz eine gewisse Lautstärke erreicht wurde. Dadurch erzeugten sie auch bei sehr massiven Türen einen noch gut wahrnehmbaren Ton im Inneren.
In der Renaissance wurden aus diesen zunächst rein funktional gestalteten Türklopfern kleine Kunstwerke. Der längliche Schlegel wurde zum Ring umgeformt, den beispielsweise ein grimmig blickender Löwenkopf oder eine Furie aus der mystischen Sagenwelt im Maul hielt. Auffällig ist der meist abweisende Ausdruck der Figuren, die dem Besucher vor der Tür böse entgegenstarrten. Die furchteinflößenden Gestalten sollten wohl die Bewachung der Türe vor unliebsamen Eindringlingen symbolisieren. Eine andere beliebte Türklopferform zeigt eine Hand, die mit einer Kugel gegen die Tür schlägt. Neben den figürlichen Plastiken bezeugen auch üppige, rein ornamental gestaltete Bronzereliefs die hohe Handwerkskunst der damaligen Zeit. Man drückte damit auch die hohe Wertschätzung aus, die man dem Eintritt in die eigenen Räume zumaß. Wie die Ausstattung der Tür selbst ist auch die des Türklopfers oft ein Ausdruck für den Reichtum und die gesellschaftliche Stellung der Hausbesitzer zur Zeit der Erbauung des Hauses gewesen.
Das Geläut zieht nach innen
Mit dem Glockenzug oder der Seilzugklingel entwickelte man die Möglichkeit, den Läutton in das Innere des Hauses zu verlegen, so dass man ihn besser hören konnte. Seitlich an der Türe hingen ein langes Seil oder ein langer Stab, die oben im Mauerwerk über einen Umlenkmechanismus waagerecht durch ein kleines Loch im Mauerwerk verschwanden und ins Innere des Hauses reichten. Am anderen Ende war eine traditionelle Glocke befestigt. Zog man draußen am Seil, bimmelte die Glocke innen.
Das Prinzip, die Geräuschquelle nach innen zu verlagern, griff die Erfindung der mechanischen Drehklingel auf, die wie die bekannte Fahrradklingel funktionierte. Von außen wurde auf die Wohnungstüre ein drehbarer Knopf auf einer etwa fünf Zentimeter großen verzierten Manschettenplatte montiert, auf der zusätzlich „Bitte drehen“ eingraviert war. Über einen kleinen Vierkantstift wurde die Drehbewegung nach innen übertragen, wo sich als Gegenstück eine gleichgroße Metallhaube befand. Drehte man den Knopf, dann ratschten im Inneren der Haube bewegliche Metallrädchen an den Rändern entlang und erzeugten ein weithin vernehmbares Klingeln. Das Verfahren war so einfach und zuverlässig, dazu noch preiswert und leicht zu montieren, dass um 1900 die Drehklingel zu den weitverbreitetsten Läutanlagen gehörte.
Die erste elektromechanische Klingel, die mit Strom funktionierte, beruht auf einer Erfindung von Johann Philipp Wagner: den nach ihm benannten Wagnerschen Hammer, den er 1836 in Frankfurt am Main vorgestellt hatte. Seine hilfreiche Erkenntnis war, dass sich in einer Drahtspule, sobald Gleichstrom fließt, ein magnetisches Feld aufbaut, das sofort wieder verschwindet, wenn der Strom unterbrochen wird. In einer elektromechanischen Klingel wird diese wechselnde magnetische Anziehungskraft in ganz kurzen Abständen erzeugt, in dem der Stromkreislauf durch eine elastische Kontaktfeder immer wieder unterbrochen wird. Ein kleiner metallener Hammer schlägt dadurch permanent an eine Metallglocke, so dass ein weithin hörbares schrilles Scheppern ertönt. Drückt der Besucher vor der Wohnungstüre den kleinen Klingelknopf, so stellt er dadurch den nötigen Stromfluss her – das „Zerhacken“ des Stromkreislaufes besorgt der Wagnersche Hammer. Diese Klingelanlage war vor dem Aufkommen der rein elektrischen Klingeln so verbreitet, dass sie an allen Schulen als Anschauungsobjekt im Physik-Unterricht diente.
Vom Zerhacker zum Gong
Bessersituierte Haushalte bevorzugten jedoch statt des profanen Klingelknopfes aus ästhetischen Gründen weiterhin die Formgebung eines Türklopfers. Dieser wurde nicht mehr direkt auf die Tür montiert, sondern fand auf einem Klingelbrett an der Wand daneben seinen Platz. Hinter dem Brett verbarg sich die elektrische Zuleitung: Hob man den Klopfer an, so schloss sich der Stromkreis und es schellte.
Da sich die Stromleitungen über längere Strecken verlegen ließen, konnten auch an den Haustüren der Mietshäuser Klingelanlagen installiert werden, die durch elektronische Türöffner ergänzt wurden. Dieses einfache Prinzip der Türschelle hat sich über ein Jahrhundert in Millionen von Türklingeln erhalten – bis die teure und störanfällige Ding-Dong-Elektronik, die sich auch im Mietpreis merklich niederschlägt, ihren Einzug hielt, und die preiswerten Türklingeln vom Markt verschwanden.
Mit dem Aufkommen der Elektronik steht der Komfort im Vordergrund. So gibt es erweiterte Möglichkeiten zur Erzeugung von Klingeltönen, Besuch kündigt sich heute durch leise melodische Gongtöne an. An unterschiedlichen Tonfolgen lässt sich ablesen, ob er noch unten vor dem Haus oder schon vor der Wohnungstür steht. Auch die Lautstärke lässt sich individuell regeln, falls man schwerhörig ist oder aber ein Mittagsschläfchen halten will. Was früher über ein geöffnetes Fenster und eine kräftige Stimme geregelt wurde, übernimmt heute die knarzende Gegensprechanlage, zum Teil kombiniert mit einer Videokamera. Die Klingeltableaus sind rein funktional gestaltet und aus schnödem Plastik gefertigt, während in gehobenen Gegenden das polierte Messing wieder seine Renaissance erlebt.
Längst vorbei sind die Zeiten, in denen tagsüber in den Berliner Mietshäusern die Haustüren offenstanden, dafür aber nachts um so sicherer durch das System des Berliner Durchsteckschlüssels verschlossen blieben. Lediglich in ländlichen Gegenden, wo ständig jemand aus der Familie zu Hause ist, man seine Nachbarn kennt und selten Fremde durch den Ort spazieren, ist es auch heute noch üblich, tagsüber die Hintertüre unverschlossen zu lassen. Kommt ein Nachbar spontan auf einen Schwatz vorbei, geht er ohne zu klingeln hintenrum ins Haus hinein, um mal eben „Guten Tag“ zu sagen.
Jens Sethmann
Klingelstreiche – ein internationales Phänomen
Für den sogenannten Klingelstreich gibt es je nach Landstrich die unterschiedlichsten Namen wie Klingelmännchen, Blinde Mäuse, Klingelmäuschen, Klingelputzen, Klingelrutschen, Klingelsturm, Klingelpost, Schellemännchen, Schellekloppe oder Schellebergerles. Gemeint ist immer das Drücken einer Türklingel, ohne die Absicht zu haben, die jeweilige Person zu besuchen. Es ist ein vorwiegend bei Kindern beliebter Streich. Anschließend rennt man weg, damit man nicht entdeckt wird. Dauerklingeln wird erzielt, indem der Klingeltaster verklemmt wird. Eine weitere Variante, einer Mutprobe ähnlich, besteht darin, nach dem Klingeln so lange vor der Tür stehen zu bleiben, bis ein Bewohner öffnet.
Vor allem, wenn dieser an sich harmlose Streich häufig oder nachts ausgeführt wird, handelt es sich in Deutschland rechtlich um eine Ruhestörung und Ordnungswidrigkeit. Im Jahr 1847 wurde in Großbritannien und Irland der „Town Police Clauses Act“ in Kraft gesetzt, der es unter anderem verbietet, ständig an den Türen anderer Leute zu klingeln.
js
Bilder von Klingeltableaus aus aller Welt finden sich unter
http://bellplates.tumblr.com/
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18.02.2019