„Dreimal umgezogen ist einmal abgebrannt“, heißt es. Vor allem die Umzüge in früheren Zeiten haben den Spruch geprägt. Ohne die Annehmlichkeiten technischer Neuerungen wie stoßgedämpfte, bequeme Außenlifte rollte das Hab und Gut auf allen möglichen Fahrzeugen zur neuen Adresse. Viel ging unterwegs zu Bruch. Und immer war die Muskelkraft der Bewohner gefragt. Nur wer genug Geld hatte, konnte auch früher schon auf professionelle Möbelpacker und Umzugsunternehmen zurückgreifen.
Eine zeitgenössische Schilderung von 1871 aus dem Städtischen Jahrbuch für Volkswirtschaft und Statistik führt anschaulich vor Augen, unter welchen Umständen viele Berliner ihre Siebensachen in eine neue Bleibe schaffen mussten: Ein so starker Umzug, wie er am 1. April stattgefunden hat und infolgedessen ein so buntes, bewegtes Treiben, wie man namentlich in den Mittagsstunden jenes Tages beobachten konnte, ist selbst für Berlin unerhört zu nennen, heißt es dort. In allen Straßen, sogar im Mittelpunkte der Stadt, wo doch sonst die länger seßhafte Bevölkerung zu hausen pflegte, sah man von früh bis spät alle nur erdenklichen Transportmittel in Bewegung, um jede Art von Hausrat aus einem Mietgelaß in das andere zu befördern.
Zu den vielen Umzügen war es 1871 in Berlin aufgrund der Wohnungsnot und der gestiegenen Mieten gekommen. Dass sich alles auf Anfang April konzentrierte, war darauf zurückzuführen, dass die Mieter nur zum 1. April und 1. Oktober die Wohnungen wechselten. Die beiden Daten markierten die sogenannten „Ziehtage“, da Mietverträge halbjährlich abgeschlossen wurden. Später etablierten sich vierteljährliche Umzugstage, wodurch sich die Fuhrkapazitäten etwas besser verteilten.
Alles was Räder hatte, kam zum Einsatz, vom Kinderwagen über den Bollerwagen bis hin zum Pferdefuhrwerk. Die „Schottsche Karre“ war ein einachsiger Handwagen mit zwei langen Zugholmen, über die das Gefährt auch gelenkt wurde. An Mietstationen standen solche Karren mit einer Ladefläche von eineinhalb Quadratmetern für kleinere Transporte bereit – sozusagen ein früher Vorläufer von Robben & Wientjes. Vor allem die ärmere Bevölkerung musste beim Umzug auf dieses einfache Gefährt zurückgreifen.
Wenn die eisenbereiften Holzspeichenräder über das Berliner Pflaster rumpelten, hatte Zerbrechliches nur gut verpackt eine Chance. Und auch der Umgang mit dem Einachser erforderte Aufmerksamkeit. Um die Ladeebene immer in der Waagerechten zu halten, mussten beim Halt drei Eisenstäbe als Stützen justiert werden. Mühsam waren die Wege, die oft mehrmals bepackt bis obenhin von alter zu neuer Bleibe zurückgelegt wurden.
Ein Pferdemöbelwagen war Luxus
Wer es sich leisten konnte, mietete einen Pferde-Möbelwagen mit Packern. Geradezu komfortabel muten die Umzüge in den neuen Westen von Berlin an, über die der Zeitgenosse Alexander Baron von Roberts 1890 berichtete: „In den letzten September- und ersten Oktobertagen stauten sich die Möbelwagen zu ununterbrochenen Reihen vor den Häusern. Es war ein emsiges Treiben, starkschultrige Enackssöhne („Enacks Söhne“ sind der alttestamentarischen Überlieferung zufolge ein Stamm von Riesen, der im südlichen Palästina angesiedelt war) schleppten anscheinend spielend die schwersten Möbelkolosse die Treppen hinan, das Trottoir war mit Stühlen, Tischen und allerlei intimen Hausgerät besetzt und in den Werg- und Heuhaufen der Verpackung wälzten sich die Kinder. An allen Fenstern erschienen dralle Hausmädchen zum Scheibenputzen.“
Die Möbelwagen waren zum Teil schon innen gepolstert, es gab spezielle standardisierte Verpackungskisten, und ein flacher Kasten unterhalb der Ladefläche zwischen beiden Achsen war für die großen Spiegel reserviert. Unbeschadet überstanden sie dort die Reise zur neuen Adresse.
Zu den ältesten Fuhrgeschäften in Deutschland gehört die Firma von August Müller, der sein Unternehmen 1808 in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge gründete. Mit der fortschreitenden Industrialisierung und dem Zuzug in die Städte blühte das Transportwesen in Deutschland weiter auf. Die Stadterweiterung Berlins in Richtung Westen um 1900 führte zu einem regen Umzug in die neuen Vororte.
Umzug nach Westen
Bei Umzügen in weite Ferne wurde die Eisenbahn für den größten Teil der Transportstrecke genutzt. Lange bevor Stahlcontainer den internationalen Frachtversand entscheidend veränderten, hat die pferdebespannte Logistik ein ähnliches System der standardisierten Transportbehälter benutzt. Schon im Jahre 1881 war es zur Gründung der Deutschen Möbeltransport Gesellschaft gekommen, einer ersten Vereinigung auf überregionaler Ebene. Der Zusammenschluss von Möbelspeditionen setzte auf einheitliche Transportstandards, um überregionale und internationale Umzüge in einem geordneten Netzwerk anbieten zu können. Da für die Langstrecke ausschließlich der Bahntransport in Frage kam, die An- und Auslieferung aber pferdebespannt erfolgte, war es von Vorteil, ein für alle Mitgliedsunternehmen kompatibles Transportsystem zu entwickeln. Dies entstand mit der Einführung des eisenbahntauglichen Standard-Möbelwagens, der komplett auf einen Waggon verladen werden konnte. Für den internationalen Transport entwickelte man eine normierte, dem heutigen Stahlcontainer ähnliche Holzkiste, den „Möbel-Lift-Van“, der auch eine Reise nach Übersee antreten konnte.
Die weitere Entwicklung des Transport- und Umzugswesens folgte mit der fortschreitenden Motorisierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So wurden die Pferde beim Ziehen der Möbelwagen durch Zugmaschinen ersetzt. Zunächst nahm man dafür Traktoren, die durch Vollgummireifen straßentauglich gemacht wurden. Später gab es spezielle Straßenzugmaschinen. Auch die Aufbauten der Möbelanhänger änderten sich. Der offene Kutschbock entfiel, dafür wurden geschlossene Abteile angebaut, in denen der Bremser und die Möbelpacker mitfahren konnten. Schließlich kamen die ersten eigenständig motorisierten Möbelwagen auf, die je nach Motorleistung auch einen Anhänger ziehen konnten. Vollgummi-Bereifung und Karbidlampen waren erste fahr- und sicherheitstechnische Verbesserungen, die auch den transportierten Möbeln zugute kamen.
Aber egal, welches Transportmittel zu Verfügung stand: Sobald die Möbel nach den Umzugsstrapazen wieder an Ort und Stelle standen, wurde die neue Adresse per Post bekannt gemacht. So beehrten sich Mitte Oktober 1916, wie untenstehender Umzugsanzeige zu entnehmen ist, Rittmeister Carl von Borstell und seine Frau Irmela ergebenst, Gräfin Astrid von Schwerin über die Wohnungsverlegung nach Landsberg an der Warthe in Kenntnis zu setzen.
Bleibt festzuhalten: „Umgezogen wird immer, das ist wie Essen und Trinken“, so der legendäre Kreuzberger Umzugsunternehmer Klaus Zapf.
Jens Sethmann
Unheilvolle Verstrickungen
Es gibt bis heute keine historische Gesamtdarstellung des Umzugswesens in Deutschland. Der 2014 verstorbene Umzugsunternehmer Klaus Zapf hatte dies ursprünglich vor, nahm aber wieder Abstand von dem Unterfangen. Nachdem er sich tiefer in die Materie eingearbeitet hatte, stellte er fest, in welchem Ausmaß sich ein Teil der Speditionsunternehmen während des Nationalsozialismus an den Zwangsräumungen der Juden und den Zwangsversteigerungen bereichert hatte. Dieser Teil der Geschichte stieß in so sehr ab, dass er beschloss, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Gezielt hat sich dagegen der Historiker Johannes Beermann diesem Teilaspekt in seinen Forschungen gewidmet und 2014 den Aufsatz „Mehr als bloß Dienstleister. Die Mitwirkung von Spediteuren und Gerichtsvollziehern an der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der europäischen Juden am Beispiel der Freien Hansestadt Bremen zwischen 1938 und 1945“ veröffentlicht.
js
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29.01.2018