In der „guten, alten Zeit“ war es in der Stadt nicht unbedingt ruhiger als heute. Für die Nachtruhe der Bürger sollten früher Nachtwächter sorgen, die allerdings durch ihr dienstliches Ausrufen der Uhrzeit selbst zu Ruhestörern wurden. Ein Blick in alte Mietverträge und Hausordnungen zeigt, dass sich mit den Lebensgewohnheiten auch die Auffassungen zur Nachtruhe im Laufe der Jahrzehnte gewandelt haben.
In Berlin hat Kurfürst Johann Georg im Jahr 1588 den Einsatz von Nachtwächtern angeordnet. Ihre Aufgabe war vor allem, bei Bränden Alarm zu schlagen, Diebe abzuschrecken und die Einhaltung der Nachtruhe durchzusetzen. Zu ihrer Ausrüstung gehörten meist eine Laterne, ein Spieß oder eine Hellebarde und ein Horn oder eine Pfeife als Warnsignal. Auf seinen Gängen durch die Straßen kontrollierte der Nachtwächter auch, ob alle Haustüren ordnungsgemäß verschlossen waren. Die Stadttore wurden schon um 21 Uhr verriegelt. Zur vollen Stunde musste der Nachtwächter die Uhrzeit ausrufen – weniger um den schlafenden Bürgern mitzuteilen, wie spät es ist, sondern vor allem um zu zeigen, dass er seinen Dienst gewissenhaft versieht und nicht auf seinem Rundgang eingeschlafen ist. Das Ausrufen der Stunde war eine deutsche Eigenart. Besucher aus dem Ausland berichteten verwundert über den hiesigen Brauch.
Trotz seiner hoheitlichen Aufgabe war die Arbeit des Nachtwächters keine angesehene Tätigkeit. Der Nachtwächter galt ähnlich wie der Abdecker oder der Henker als „unehrlicher Beruf“, der schlecht bezahlt war.
Im Jahr 1806 beschäftigte die Stadt Berlin 111 Nachtwächter. Sie patrouillierten durch die 133 Straßen und 91 Gassen. Die Stadt war damals nicht größer als der heutige Ortsteil Mitte und hatte rund 170.000 Einwohner. Die Straßen wurden mit Öllaternen beleuchtet, die um Mitternacht gelöscht wurden. Bei Mondschein haben die Nachtwächter sie gar nicht erst angezündet.
In Berlin ging man in dieser Zeit dazu über, die Stunden nicht mehr auszurufen, sondern durch Pfeifen kundzutun. Das Horn nutzten die Nachtwächter zum Melden von Bränden.
Einträgliches Privileg
1843 gab es in Berlin 160 Nachtwächter, deren Dienstauffassung nicht immer einwandfrei war. So beklagte der Schriftsteller Karl Gutzkow 1843: „Die Zahl der Nachtwächter ist viel zu klein. Diese ‚Schnurren‘ sind alte ausgediente Militärs oder sonstige Exspektanten, die aus Verzweiflung einen Dienst ergreifen, den sie fast nur pro forma versehen. Die Nachtwächter in Berlin sind oft hinfällige Greise. Mit spärlichem Gehalt versehen sind sie auf die Sporteln ihres Dienstes angewiesen. Diese bestehen aus den Erträgnissen eines Privilegiums, das man in fremden Städten kaum für möglich halten möchte. Der Berliner Nachtwächter hat ein Bund von hundert Hausschlüsseln am Leib hängen und schließt jedem auf, der des Abends nach zehn Uhr in das erste beste Haus einzutreten wünscht. Die Trinkgelder sind seine Revenuen. Man sieht, daß es Diebe an keinem Ort der Welt so bequem haben, als in Berlin.“
Gutzkow forderte, die Zahl der Nachtwächter zu verdreifachen und sie unter eine militärische Disziplin zu stellen. 1852 gab es jedoch nur noch 50 Nachtwächter. Mit der allmählichen Einführung der Gaslaternen ab 1826 und der elektrischen Straßenbeleuchtung ab 1882 wurden die Nachtwächter zunehmend überflüssig. Durch neue Polizeiverordnungen wurden sie schließlich abgeschafft und ihre Aufgaben der Polizei und der Feuerwehr übertragen. Spandau hatte Mitte des 19. Jahrhunderts noch sechs Nachtwächter, hier wurde ihr Dienst erst 1909 eingestellt.
Mehr Lärm durch mehr Menschen auf engerem Raum
Die Stadt um 1900 war nicht unbedingt leiser als das Berlin des 21. Jahrhunderts. Zwar gab es so gut wie keinen Autoverkehr und keinerlei Fluglärm. Pferdefuhrwerke waren mit den Hufeisen und den eisenbeschlagenen Rädern auf dem Kopfsteinpflaster aber nicht gerade geräuscharm. Dazu kam vor allem der Lärm aus den Gewerbehöfen: Möbeltischlereien, Schlossereien, Maschinenbaufirmen und andere laute Industriebetriebe befanden sich in fast allen Stadtteilen in direkter Nachbarschaft zu den Wohnhäusern und arbeiteten zehn Stunden am Tag und sechs Tage in der Woche, manche auch im Schichtbetrieb rund um die Uhr. Außerdem wohnten die Berliner sehr viel beengter. In einem Gründerzeitaltbau, der heute von 50 Personen bewohnt wird, lebten damals mindestens 150 Menschen. Da blieb es nicht aus, dass der Geräuschpegel im Haus höher war.
„Jeder den Frieden und die Ruhe des Hauses störende Lärm, auch innerhalb der Mieträume, ist verboten“, heißt es in einem Formular-Mietvertrag von 1917 aus dem Archiv des Berliner Mietervereins. „Das laute Treppensteigen und Türwerfen ist mit Rücksicht auf die anderen Mieter untersagt. Der Flur ist mit einem schalldämpfenden Läufer zu belegen.“ Bestimmte Lärmquellen werden in dem Vertrag besonders erwähnt: „Näh- und Strickmaschinen, Kinder- und Krankenwagen dürfen nur auf Gummi- oder Filzunterlagen stehend benutzt werden. Der Gebrauch von Holzpantinen im Hause ist verboten.“ Die Nachtruhe schien seinerzeit hauptsächlich von musikalischen Mietern gefährdet – jedenfalls sind nur dafür Ruhezeiten ausdrücklich angegeben: „Berufsmäßiges Musizieren, mechanische Musikgeräte, Musizieren bei offenem Fenster und jedes ruhestörende Geräusch überhaupt ist verboten; ferner ist das Musizieren vor 9 Uhr morgens, nach 11 Uhr abends und von 1 – 3 Uhr nachmittags nicht gestattet.“ Über Nacht wurde auch der Zutritt zum Haus reglementiert: „Die Haustür ist von 10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens geschlossen zu halten.“
Die Hausordnung aus der Kaiserzeit war erstaunlicherweise liberaler als 40 Jahre später im demokratisch verfassten West-Berlin. In einem Mietvertrag von 1957 tritt die Nachtruhe eine Stunde früher ein. Die Mieter werden da zur „Vermeidung störender Geräusche“ verpflichtet, „z.B. durch Benutzung nicht abgedämpfter Maschinen, durch starkes Türenzuschlagen und Treppenlaufen, durch Musizieren einschließlich Rundfunkempfangs mit belästigender Lautstärke und Ausdauer, vor allem in den Mittagsstunden und nach 22 Uhr, sowie Unterlassung des Teppichklopfens usw. außerhalb der zugelassenen Zeiten.“ Die Haustür wurde sogar zwei Stunden früher abgeschlossen und blieb morgens eine Stunde länger zu: „Zum Schutze der Mieter- und Vermieterrechte gegenüber Unbefugten ist das Haus im allgemeinen in der Zeit von 20 Uhr bis 7 Uhr verschlossen zu halten.“
Jens Sethmann
Hausordnung und Immissionsschutzgesetz
In Berlin gilt seit 2005 das Landes-Immissionsschutzgesetz. Zum Schutz der Nachtruhe heißt es in Paragraf 3 sehr klar: „Von 22.00 bis 06.00 Uhr ist es verboten, Lärm zu verursachen, durch den jemand in seiner Nachtruhe gestört werden kann.“ Eine Hausordnung kann darüber hinaus eine längere Nachtruhe und weitere Ruhezeiten festlegen. Beispielsweise gibt es in der Hausordnung der Wohnungsbaugesellschaft Degewo nächtliche Ruhezeiten von 20 bis 7 Uhr, für Hausmusik sogar bis 9 Uhr morgens, eine Mittagsruhe zwischen 13 und 15 Uhr und ein generelles Ruhegebot an Sonn- und Feiertagen. Die Hausordnung ist Teil des Mietvertrags und kann nicht von einer Seite nachträglich geändert werden. Wenn ein Vermieter eine neue Hausordnung anwenden will, gilt sie nur für die Mieter, die sie mit ihrem Mietvertrag unterschreiben.
Bei Verstößen gegen das Landes-Immissionsschutzgesetz kann man die zuständigen Stellen in den Bezirksämtern einschalten, in dringenden Fällen auch die Polizei. Diese können die Lärmbelästigung beenden und Bußgelder verhängen. Kommt der Lärm aus dem Wohnhaus, empfiehlt es sich, zunächst einmal mit dem Verursacher zu sprechen. Nützt das nichts, sollte man den Vermieter auffordern, die Störung zu beseitigen. Der Störenfried riskiert eine Abmahnung und im Fall einer Wiederholung eine Kündigung. Bei Lärmbelästigung kann der betroffene Mieter die Miete kürzen, bei einer Gesundheitsgefährdung die Wohnung fristlos kündigen und auch den Verursacher auf Schadenersatz verklagen.
js
BMV-Infoblatt Nr. 96: „Lärmbelästigungen – Das ABC der häufigsten Streitpunkte“:
www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-96-massnahmen-gegen-laermbelaestigungen-das-abc-der-haeufigsten-streitpunkte.htm
29.01.2017