Eine Abrisswelle geht durch Berlin. Immer mehr Mietshäuser aus der Nachkriegszeit mit preiswerten Mieten werden vernichtet, um Luxus-Neubauten Platz zu machen. Der Trend ist gleich mehrfach zerstörerisch: Mieterinnen und Mieter werden vertrieben, der Wohnungsmarkt verliert bezahlbare Wohnungen, die Innenstadt wird zum Reservat für Reiche, und der enorme Rohstoffverbrauch ist außerordentlich klimaschädlich. Die Berliner Politik tut nur wenig dagegen. Der Berliner Mieterverein hat deshalb ein Konzept erarbeitet, mit dem Abrisse rechtlich weitgehend verhindert werden können.
In der Fasanenstraße 64 sind 40 neue Wohnungen gebaut worden. „Eine der elegantesten Adressen der Stadt erhebt Wohnen zur Kunstform von ausgewiesener Kennerschaft“, heißt es in Immobilienportalen, wo die Wohnungen als „Speerspitze eines exklusiven Lifestyles“ zum Verkauf angeboten werden. Im „neuen Tempel der Bau- und Lebenskunst“, so die Eigenwerbung, kann man noch für vier Millionen Euro eine Penthouse-Wohnung kaufen – Quadratmeterpreis: knapp 30.000 Euro.
Was nicht im Verkaufsprospekt steht: Für den Luxustempel sind 40 bezahlbare Mietwohnungen abgerissen worden. In kleinen Wohnungen haben meist ältere Menschen zu Mieten unter 200 Euro im Monat gewohnt. Im Jahr 2017 bekamen sie alle eine Kündigung. Abriss und Neubau seien die „einzig wirtschaftlich vertretbare Möglichkeit der Verwertung“, hieß es zur Begründung, obwohl das 1967 errichtete Haus in keinem schlechten Zustand und mit neuen Isolierglasfenstern und einer Fassadendämmung nachgerüstet worden war. Der Abrissantrag von 2018 wurde genehmigt, 2020 rückten die Bagger an. Der „exklusive Lifestyle“ der neuen Bewohnerschaft beruht auf der Vertreibung der alten. Deutlicher kann man kaum illustrieren, dass der Reichtum der einen aus der Armut der anderen gespeist wird. Die Primus Immobilien AG, die hinter dem Bauprojekt steht, hat im Jahr 2021 genau 9999 Euro an die Berliner SPD gespendet und bekam der Tageszeitung taz zufolge ein persönliches Dankesschreiben der Landesvorsitzenden Franziska Giffey.
Die Regierende Bürgermeisterin dankt
„Bauen, bauen, bauen“ lautet bekanntlich das Patentrezept der Regierenden Bürgermeisterin Giffey zur Beseitigung der Wohnungsnot. Die 40 neuen Wohnungen in der Fasanenstraße 64 hübschen die Neubaustatistik auf, doch haben sie keinerlei positive Wirkung auf den darniederliegenden Wohnungsmarkt. Teure Neubauwohnungen halten die Mietsteigerungen im Wohnungsbestand nicht auf und sind für Einkommensschwächere unerreichbar. Ganz zu schweigen davon, dass dafür 40 günstige Wohnungen zerstört worden sind und so das Angebot an leistbarem Wohnraum bewusst verringert wurde.
Abriss manchmal ganz geräuschlos
Die Fasanenstraße 64 ist kein Einzelfall. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass dem „Bauen, bauen, bauen“ ein „Abreißen, abreißen, abreißen“ vorangeht. Besonders in der Innenstadt werden Mietshäuser mit bezahlbarem Wohnraum vernichtet, um profitableren Wohnbauten mit hochpreisigen Miet- oder Eigentumswohnungen Platz zu machen. Einer der ersten Fälle war das Ungers-Haus am Lützowplatz. Für das 1983 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) errichtete Mietshaus stellte die Eigentümerin schon 2001 einen Abrissantrag. Nach langem Streit wurde das Gebäude 2013 dem Erdboden gleich gemacht. Es folgten Abrisse in immer dichterer Folge. So berichtete das MieterMagazin in den letzten Jahren von Abrissbegehren für die Barbarossastraße 59/60, Schwäbische Straße 7a/b, Wilhelmstraße 56-59, Suarezstraße 24, Uhlandstraße 77 und 103, Fechnerstraße 7, Windscheidstraße 3/3a, Dortmunder Straße 14, Schlüterstraße 44, Chausseestraße 32 und 53, Habersaathstraße 40-48 und die gesamte Siedlung Westend. In vielen weiteren Fällen sind Abrisse schon ganz geräuschlos über die Bühne gegangen. Als Grund wird immer angegeben, dass sich eine Sanierung gegenüber einem Neubau nicht mehr rechne.
Diese radikale Form der Immobilienverwertung ist eine soziale und ökologische Katastrophe: Menschen mit wenig Geld verlieren ihre Wohnung und werden aus der Innenstadt vertrieben. Dringend benötigte preiswerte und bedarfsgerechte Wohnungen werden vernichtet und durch Luxus-Renditeobjekte ersetzt, die oft nicht mal dauerhaft bewohnt werden. Zudem fallen beim Abriss und Neubau Unmengen an Bauschutt und CO2-Emissionen an. Dennoch schaut die Berliner Politik dem Treiben nahezu tatenlos zu. Der rot-grün-rote Senat hat in seinem Koalitionsvertrag von 2021 zwar gute Absichten vereinbart. Darin heißt es: „Der Abriss von baulichen Anlagen vernichtet bislang sehr viel graue Energie, deshalb haben für die Koalition der Umbau und die Erweiterung Priorität gegenüber Abriss und Neubau.“ Doch konkrete Schritte wurden nach mehr als einem Jahr noch nicht unternommen.
Der Berliner Mieterverein (BMV) beobachtet, dass Abrissgenehmigungen in den Bezirken seit Langem keine Ausnahme, sondern weit verbreitet sind. Allein im Jahr 2021 sind laut amtlicher Statistik 532 Wohneinheiten beseitigt worden, die Dunkelziffer ist wahrscheinlich bedeutend höher.
Aus diesem Grund hat der BMV ein Konzept gegen den grassierenden Abrisswahn vorgelegt – Motto: „Stehen lassen, stehen lassen, stehen lassen“. Durch Änderungen im Zweckentfremdungsrecht und in der Bauordnung könnte Berlin die Vernichtung von Wohnraum weitgehend stoppen.
Anders als in allen anderen Bundesländern muss in Berlin der Abriss von Wohngebäuden den Behörden nicht nur angezeigt werden, sondern erfordert eine ausdrückliche Genehmigung des Bezirksamts. Doch die Bezirke nutzen die Möglichkeit, einen Abrissantrag abzulehnen, viel zu wenig. Zwischen 2018 und 2021 wurden 63 Prozent aller Abrissanträge genehmigt. Wird ein Haus als „nicht schützenswerter Wohnraum“ eingestuft, werden Abrisse ohne jegliche Auflagen durchgewunken. Ansonsten wird den Investoren auferlegt, für die abzureißenden Wohnungen Ersatzwohnraum zu schaffen, dessen Nettokaltmiete nicht mehr als 9,17 Euro pro Quadratmeter betragen darf.
Dem BMV ist diese Grenze zu hoch. Den Gekündigten nützt ein solcher, Jahre später geschaffene Ersatzwohnraum auch nichts.
Der BMV will das Zweckentfremdungsrecht so geändert sehen, dass kein Abriss genehmigt wird, wenn die Bewirtschaftung des Wohnhauses unter Berücksichtigung von Instandsetzungen über mindestens 20 Jahre wirtschaftlich zumutbar ist. Wird ein Abriss genehmigt, sollen die Bezirke verlangen, dass mindestens die Hälfte der abgerissenen Wohnfläche im vorgesehenen Neubau als geförderte Sozialwohnungen errichtet werden. Die Miete des zu schaffenden Ersatzwohnraums dürfe höchstens 20 Prozent über der Miete des abgerissenen Wohnraums liegen und die ortsübliche Vergleichsmiete maximal um 10 Prozent übersteigen. Auch durch eine Änderung der Bauordnung will der BMV strengere Maßstäbe für Abbruchgenehmigungen setzen: Abrisse sollen nur noch gestattet werden, wenn die Sanierung und Erhaltung des Gebäudes mehr als zwei Drittel eines Neubaus kostet. Ohne eine Lebenszyklusanalyse des Gebäudes dürfe kein Abriss mehr genehmigt werden.
www.berliner-mieterverein.de/downloads/pm110123-bmv-konzept-abriss.pdf
Ein Ersatz, der keiner ist
„Mit den vorgeschlagenen Änderungen wären insbesondere Wohnungen aus den 1950er und 1960er, zunehmend auch aus den 1970er Jahren, deutlich besser geschützt als bisher“, erklärt Sebastian Bartels. Mit 678.000 Wohnungen macht diese Baualtersklasse gut ein Drittel des Berliner Bestandes aus. Bei diesen meist zentral gelegenen Nachkriegsbauten liegt die ortsübliche Vergleichsmiete im Berliner Mietspiegel deutlich niedriger als bei Altbauten. In ihnen leben viele Menschen mit geringem Einkommen. Für sie ist es eine ungeheure Belastung, durch eine Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung ihre Wohnung zu verlieren.
Berlins Wohnungsbaupolitik setzt weiterhin stark auf den Neubau. Der Um- und Ausbau von bestehenden Wohnhäusern ist hingegen aus der Mode gekommen. Wurden im Jahr 2015 noch 3528 Wohnungen durch Umbauten, Dachausbauten, Aufstockungen oder durch Umnutzungen bisher nicht für Wohnzwecke genutzter Gebäude genehmigt, waren es im Jahr 2021 nur noch 1877 Wohneinheiten. Der Umweltverband BUND weist darauf hin, wie viel Potenzial Berlin hier verschenkt: Hätte die Zahl der Umbaugenehmigungen in den letzten Jahren das Niveau von 2015 gehalten, wären von 2016 bis 2021 fast 6500 zusätzliche Wohnungen genehmigt worden – und teilweise inzwischen auch fertiggestellt und bezogen. Das sind weit mehr Wohnungen als auf dem alten Plan zur Teilbebauung des Tempelhofer Feldes, der von den Baupropagandisten immer wieder hervorgeholt wird.
Umbau – das verschenkte Potenzial
Dass alte Gebäude den heutigen Wohnbedürfnissen nicht mehr entsprechen, ist ein häufig vorgebrachtes Argument für den Abriss. Die Bauweise der 50er bis 70er Jahre entspricht oft nicht den heutigen Anforderungen, insbesondere was Wärmeisolierung und Lärmschutz angeht. Durch Dämmung, Fensteraustausch und Heizungserneuerung – nach 40 bis 70 Jahren Lebensdauer ohnehin notwendige Maßnahmen – lassen sich diese Mängel jedoch beheben. Die knapp bemessenen Wohnungsgrößen sind nach aktuellen Maßstäben zwar nicht mehr familientauglich, doch weil es heute viel mehr kleinere Haushalte gibt, entsprechen die Grundrisse durchaus der Nachfrage. Viele Wohngebäude dieser Ära sind schon auf den modernsten Stand gebracht, ohne dass die Kosten aus dem Ruder gelaufen sind. Selbst die Anfang der 50er Jahre in einfachster Schlichtbauweise errichteten Siedlungen für Flüchtlinge, Vertriebene und „unverschuldet in Not geratene Familien“ konnten auf einen zeitgemäßen Standard gebracht werden: Die eigentlich zum Abriss vorgesehenen „Mau-Mau-Siedlungen“ am Schlierbacher Weg in Buckow und an Belß- und Lüdeckestraße in Lankwitz wurden in den 90er Jahren mit öffentlicher Förderung modernisiert, aufgestockt und so aufgepeppt, dass sie ihr Image als Arme-Leute-Notbehelf vollständig abgelegt haben. Es gibt keinen Grund, Nachkriegsbauten als minderwertige Architektur anzusehen, die man nur noch abreißen kann.
Schlechte Wohnverhältnisse beseitigen zu wollen, war schon der Vorwand für die Kahlschlagsanierung der 60er und 70er Jahre, bei der vor allem im Wedding und in Kreuzberg weite Teile der Mietskasernenbebauung aus der Kaiserzeit abgerissen wurden. Auch damals traf schon zu, dass man mit einer Grundinstandsetzung und einer maßvollen Modernisierung in den Altbauten gute Wohnbedingungen schaffen konnte. Das offizielle Argument, die Sanierung der Altbauten wäre teurer als Abriss und Neubau, wurde von dem Architektur-Professor Hardt-Waltherr Hämer an mehreren Praxisbeispielen widerlegt. Doch es brauchte erst eine Welle von Hausbesetzungen und eine breite Protestbewegung, bis die Abrisssanierung 1983 aufgegeben wurde und die „Behutsame Stadterneuerung“ mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1987 zum vielbeachteten Aushängeschild der Berliner Baupolitik wurde.
Nach der Wende 1989 hatten Abrissfantasien dann wieder kurzzeitig Hochkonjunktur, um missliebige DDR-Architektur aus der Stadtmitte zu tilgen. 1998 dachte der damalige Stadtentwicklungsstaatssekretär Hans Stimmann laut darüber nach, soziale Probleme, die sich im Schöneberger Sozialpalast und im Neuen Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor ballten, durch Abriss der Wohnanlagen zu lösen.
Eine wahre Abrisswelle ging dann mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ durch Marzahn-Hellersdorf. Hier wurden zwischen 2003 und 2008 rund 3000 Plattenbau-Wohnungen der städtischen Unternehmen Degewo und Stadt und Land niedergemacht. Da in Berlin um die Jahrtausendwende nach Senatsberechnungen 100.000 Wohnungen leerstanden, sollte diese Maßnahme eine „Marktbereinigung“ bewirken – der Senat setzte öffentliches Geld ein, um öffentliches Eigentum zu vernichten und das Wohnungsangebot zu verknappen. Das war eine ausgesprochen kurzsichtige Politik. Auf mehreren Abrissflächen mussten die landeseigenen Wohnungsunternehmen inzwischen neue Wohnhäuser bauen, um die grassierende Wohnungsnot abzumildern.
Ein weitgehendes Abrissverbot aus ökologischen Gründen fordern die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Gruppierung Architects for Future (A4F): Gebäude sollen nur abgerissen werden dürfen, wenn Abriss und Neubau tatsächlich ökologischer sind als die Sanierung. Deutschlandweit sollen alle Bundesländer in ihren Landesbauordnungen einen Genehmigungsvorbehalt für Abrisse verankern. Bei jedem Abrissantrag müssten dann die Klimaauswirkungen geprüft werden. Bis die Bauordnungen geändert sind, fordern die Verbände ein generelles Abrissmoratorium.
„Das bestehende Gebäude ist immer das klimafreundlichste“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz. Durch den derzeit herrschenden Abrisswahn würden nicht nur wertvolle Ressourcen verloren gehen, auch das Klima werde enorm belastet und dringend benötigter bezahlbarer Wohnraum beseitigt. „Es ist geradezu abstrus, dass die Bauministerien der Länder Gebäudeabrissen freien Lauf lassen.“ Metz fordert einen Paradigmenwechsel hin zum Bauen im Bestand: „Sanieren, Umbauen, Umnutzen und Erweitern müssen das neue Normal werden, der Abriss die Ausnahme.“
Michael Wicke von A4F ergänzt: „Statt vorhandene Strukturen einzureißen und zu ersetzen, müssen wir mit unserem Bestand respektvoll und kreativ umgehen und ihn ökologisch, smart und wertschätzend weiterentwickeln.
Beispielprojekt „Haus der Statistik“
Wie das gehen kann, zeigt das Modellprojekt Haus der Statistik am Alexanderplatz. Der große Bürokomplex aus DDR-Zeiten stand nach 2008 leer, verfiel zusehends und war zum Abriss vorgesehen. Zusammen mit Kunst- und Kulturschaffenden wurde ab 2016 ein Konzept entwickelt, das nicht nur den Umbau der vorhandenen Gebäude für soziale und kulturelle Zwecke, für das Finanzamt und das Rathaus Mitte vorsieht, sondern auch den Bau von rund 300 bezahlbaren Wohnungen. Im letzten Jahr haben die Umbauarbeiten begonnen.
Auch bei so schwierigen Immobilien ist der Erhalt möglich. Wenn man sich auf die Gegebenheiten einlässt, kommen oft sogar innovative Umbau-Lösungen heraus. „Stehen lassen“ bringt dann auch noch das städtebaulich attraktivere Ergebnis.
Jens Sethmann
Abrisswut schafft Bauschuttberge
In Deutschland wurden im Jahr 2021 laut offizieller Statistik 14.090 Gebäude abgerissen. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, da viele Abrisse an den Behörden vorbeigehen. In den Bauordnungen der Länder brauchen die meisten Gebäudeabrisse keine Genehmigung, sondern sind nur anzeigepflichtig – bei kleineren Bauten nicht mal das.
Im Jahr 2020 fielen in Deutschland 229,3 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle an. Das sind 55,4 Prozent des gesamten Müllaufkommens. Pro Kopf kommen jährlich 2760 Kilogramm Bauschutt zusammen. Zum Vergleich: Jede Person erzeugt im Jahr durchschnittlich 227,5 Kilogramm Verpackungsmüll. Während beim Verpackungsmüll verstärkt auf die Wiederverwendbarkeit geachtet wird, ist die Recyclingquote bei Baumaterialien gering. Eine sortenreine Trennung der Bauabfälle ist aufwendig. Nur ein Bruchteil wird wieder für den Hochbau verwendet, etwa als Beimischung für Beton. Der größte Teil des Bauschutts wird zerkleinert als geringwertiger Unterbau im Straßen- und Wegebau genutzt – das ist sogenanntes „Downcycling“. Rund 20 Prozent des Bauschutts landet auf Deponien.
In den deutschlandweit 21,4 Millionen Gebäuden sind rund 28,44 Milliarden Tonnen Baumaterial gebunden. Das ist ein riesiges menschengemachtes Rohstofflager, das durch effiziente Nutzung, Wiederverwendung und Recycling einen wichtigen Beitrag zum Ressourcenschutz leisten kann.
js
Was gilt bei Abriss im Mietrecht?
Selbst wenn der Abriss eines Wohnhauses behördlich genehmigt ist, heißt das noch nicht, dass die Mieterinnen und Mieter ausziehen müssen. Die Mietverträge müssen ordentlich mit gesetzlicher Frist und mit einem berechtigten Interesse gekündigt werden. Bei einem beabsichtigten Abriss kommt eine Kündigung wegen „Hinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“ in Frage. Für eine solche „Verwertungskündigung“ muss nachgewiesen werden, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses mit einem erheblichen wirtschaftlichen Nachteil verbunden ist. Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung muss ergeben, dass die Sanierung des Hauses gegenüber einem Abriss und anschließendem Neubau finanziell unzumutbar wäre. Bei welchem Kostenverhältnis diese Zumutbarkeitsschwelle liegt, ist nicht gesetzlich festgelegt und in der Rechtsprechung umstritten.
Auch wenn ein Gericht ein berechtigtes Kündigungsinteresse anerkennt, müssen Mieterinnen und Mieter noch nicht unbedingt ihre Wohnung räumen. Sie können Widerspruch gegen die Kündigung einlegen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeuten würde. Eine Härte liegt beispielsweise vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum unter zumutbaren Bedingungen nicht zu beschaffen ist, wenn ein Haushalt seit Jahrzehnten in der Wohngegend verwurzelt ist, wenn ein Haushaltsmitglied ein hohes Alter hat oder wenn sein Gesundheitszustand so bedenklich ist, dass ein erzwungener Wohnungswechsel eine Gesundheitsgefährdung darstellt. Die Gerichte können in solchen Fällen das Mietverhältnis für einen bestimmten Zeitraum oder unbefristet verlängern.
Da solche Gerichtsverfahren sehr lange dauern können und ihr Ausgang für beide Seiten schwer einzuschätzen ist, versuchen viele Investoren, die Mieter herauszukaufen und ihnen gleichzeitig durch unterlassene Instandhaltung das Bleiben zu vermiesen. Mit der Aussicht auf jahrelange belastende Streitigkeiten streichen nicht wenige Betroffene die Segel.
js
Zwischenbericht der Expertenkommission Vergesellschaftung unter:
www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/downloads/
Kurzstudie der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Vergesellschaftung senkt die Miete“:
www.rosalux.de/publikation/id/49757
Faktenpapier „Gebäude bewahren und das Klima schützen“ der Deutschen Umwelthilfe unter:
https://l.duh.de/abrissevermeiden
16.12.2023